Pressemitteilung 2022/052 vom

Mitte M?rz 2022 hat die gro?angelegte, internationale Forschungskampagne HALO-(AC)3 zur Untersuchung der ?nderung von Luftmassen in der Arktis begonnen. Drei deutsche Forschungsflugzeuge werden eingesetzt, Wissenschaftler:innen aus Gro?britannien und aus Frankreich werden bei gemeinsamen Flügen mit zwei weiteren Flugzeugen ebenfalls beteiligt sein. Dabei liegt besonderes Augenmerk auf nordw?rts gerichtete Warmlufteinschübe in die zentrale Arktis sowie Kaltluftausbrüche aus der Arktis in Richtung Süden. Ziel der Messungen ist die Untersuchung der Prozesse, die zum in den letzten Jahrzehnten beobachteten überdurchschnittlichen Temperaturanstieg in der Arktis führen.

Dieser ist mit zwei bis drei Grad Celsius in den letzten 50 Jahren viel st?rker als die Erw?rmung in an?deren Regionen der Erde. Dieses Ph?nomen wird als ?arktische Verst?rkung“ bezeichnet. Die Temperaturerh?hung wirkt sich nicht nur auf das regionale Klimasystem der Arktis aus. Auch das heimische Wetter in den mittleren Breiten kann durch den Temperaturanstieg in der Arktis beeinflusst werden. Die HALO-(AC)3-Kampagne wird dazu beitragen, die Prozesse hinter den derzeit ablaufenden drastischen Klimaver?nderungen in der Arktis besser zu verstehen. Bereits w?hrend der ersten Messflüge seit dem 12. M?rz 2022 gab es einen massiven Warmlufteinschub in die Arktis. Bei diesem Ereignis wurden mehrere ungew?hnliche Ph?nomene wie starker Regen über dem Meereis und massive Wolken, die fast so hoch wie in den Tropen reichen, beobachtet. Mit der heutigen Ankunft weiterer Forschungsflugzeuge starten am 19. M?rz 2022 die geplanten, koordinierten Messflüge, um die Komplexit?t dieser Ereignisse besser zu verstehen.

Prof. Dr. Manfred Wendisch vom Institut für Meteorologie der Universit?t Leipzig ist wissenschaftlicher Koordinator der fünfw?chigen HALO-(AC)?-Messkampagne, bei der die ?nderungen von Luftmassen auf ihrem Weg in und aus der Arktis untersucht werden sollen. Was genau dabei mit den Luftmassen insbesondere in Bezug auf die Wolkenbildung geschieht, soll detailliert beobachtet und mit modernsten Instrumenten vermessen werden. Diese Luftmassen?nderungen k?nnen nicht durch lokale bodenge?stützte Messungen charakterisiert werden, denn in der zentralen Arktis gibt es nur wenige meteorologische Messstationen. Deshalb werden im Rahmen von HALO-(AC)? drei deutsche Messflugzeuge zur Beobachtung der Luftmassen auf ihrem Weg in die Arktis hinein beziehungsweise aus der Arktis heraus eingesetzt. Die gro?e Reichweite der Flugzeuge wird genutzt, um die Ver?nderungen der Luftmassen mit Hilfe der sogenannten quasi-Lagrange‘schen Beobachtungsmethode zu charakterisieren. Bei dieser Art von Messung wird die Flugroute an die Zugrichtung der Luftmasse angepasst, um die Ver?nderungen von Wolken, Feuchtigkeit, Temperatur und vieler weiterer Parameter direkt zu vermessen. Die so gewonnenen Daten sollen zur Absch?tzung der Genauigkeit von numerischen Wettervorhersagemodellen genutzt werden, die für die Vorhersage zukünftiger ?nderungen des arktischen Klimas notwendig sind. Damit wird die Kampagne helfen, eine wichtige Wissenslücke in der Klimaforschung zu schlie?en, die auch der Weltklimarat IPCC im zweiten Teil seines aktuellen Sachstandsberichts aufzeigt. Manfred Wendisch fasst die Zielstellung von HALO-(AC)? zusammen: ?Die Vorhersage der Zukunft des arktischen Klimas bleibt schwierig. Um zur Kl?rung wesentlicher Unsicherheiten bei der Projektion der zukünftigen Klimaentwicklung in der Arktis beizutragen, wollen wir unter Nutzung einer neuartigen Beobachtungsmethode eine umfangreiche Flugzeugkampagne durchführen, die HALO-(AC)?-Kampagne.“Koordinierte Messflüge mit drei Forschungsflugzeugen

Drei deutsche Forschungsflugzeuge werden für die HALO-(AC)?-Messungen eingesetzt: Zum einen ist dies HALO (High Altitude and Long Range Research Aircraft), ein modernes Forschungsflugzeug, welches vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) betrieben wird. ?HALO wird in gr??eren H?hen als Fernerkundungsplattform operieren, denn es ist in der Lage, in H?hen von bis zu 15 Kilometern lange Strecken von bis zu 10.000 Kilometern zurückzulegen“, erkl?rt Dr. Andreas Minikin von der DLR-Einrichtung Flugexperimente. Zum anderen werden, in Kombination mit HALO, die zwei Polarflugzeuge Polar 5 und Polar 6 in geringeren H?hen die Luftmassen detailliert vermessen. Die beiden Polarflugzeuge kommen unter Leitung des Alfred-Wegener-Instituts Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) bereits seit mehr als zehn Jahren in der Arktis zum Einsatz. Erg?nzend zu HALO messen die Polarflugzeuge in einem H?henbereich unterhalb von sechs Kilometern und k?nnen dabei Strecken von 1.500 bis 2.000 Kilometern zurücklegen. Dr. Andreas Herber, Wissenschaftler am AWI und Koordinator von Polar 5 und Polar 6, erg?nzt: ?Die Reichweite der Polarflugzeuge ist zwar geringer, aber ein wesentlicher Vorteil dieser Forschungsflieger besteht darin, dass sie langsam und tief fliegen k?nnen und damit eine Momentaufnahme von ganz speziellen Prozessen in, unter und über Wolken beziehungsweise in der planetaren Grenzschicht messtechnisch erfassen k?nnen.“ 

Die Flugzeu?ge sind mit hochmodernen Instrumenten ausgestattet, mit denen die gesamte Atmosph?re vom Boden bis in zehn Kilometern H?he charakterisiert werden kann. Zu den wichtigsten Messparametern z?hlen Wolkeneigenschaften, Temperatur- und Feuchtigkeitsprofile, Energieflüsse und Eigenschaften von Aerosolpartikeln und Spurengasen. Prof. Dr. Susanne Crewell, Atmosph?renforscherin an der Universit?t zu K?ln, erl?utert: ?Durch die Koordinierung der Flugmuster der drei Flugzeuge k?nnen wir die Luftmassen bei ihrer r?umlichen und zeitlichen Entwicklung verfolgen. Die Messungen erm?glichen es, feinste Wolkenstrukturen bis hin zu einzelnen Wolkenpartikeln n?her zu betrachten und den Einfluss des Arktischen Meereises auf die Wolkeneigenschaften zu erforschen. Die Kombination der verschiedenen Messungen erm?glicht es uns, ein nahezu vollst?ndiges Bild der untersuchten Luftmasse zu erhalten.“ Wichtige Helfer hierbei sind die sogenannten Dropsonden, die von den Flugzeugen abgeworfen werden und an kleinen Fallschirmen zu Boden gleiten. Auf ihrem Weg durch die Atmosph?re liefern sie Messungen von Temperatur, Luftdruck und Feuchte.

Aus Leipzig sind Wissenschaftler:innen des Leipziger Instituts für Meteorologie (LIM) der Universit?t Leipzig und des Leibniz-Institut für Troposph?renforschung (TROPOS) vor Ort im Einsatz. Das Team des LIM ist auf die Beobachtung von Wolkeneigenschaften und entsprechenden Auswirkungen auf den Energietransfer zwischen Boden, Atmosph?re, und den Wolken fokussiert. Deshalb haben die Leipziger Forscheri:nnen auf HALO und Polar 5 ?hnliche spektrale Sensoren und Kamerasysteme installiert. Diese werden helfen, den Lebenszyklus von Wolken w?hrend der Luftmassentransporte genau zu verfolgen. ?Es wird dann sehr spannend sein, wie gut unsere Modelle diese Ver?nderungen reproduzieren“, sagt Dr. André Ehrlich, der von Leipziger Seite den HALO-Einsatz koordiniert. 

Das TROPOS engagiert sich in enger Kooperation mit dem AWI und dem Max-Planck-Institut für Chemie in Mainz mit Aktivit?ten zur Charakterisierung von Aerosolpartikeln und Wolkenpartikelresiduen an Bord der Polar 6. ?Von speziellem Interesse sind hierbei die r?umliche Verteilung und physikochemischen Eigenschaften von Aerosolpartikeln im Allgemeinen und Partikeln, die zur Bildung und zum Gefrieren von Wolkentropfen beitragen, im Besonderen. Hierzu kommen sowohl ein neuer am TROPOS entwickelter Instrumentensatz zur in-situ-Aerosolcharakterisierung als auch der bereits in früheren Messkampagnen erfolgreich eingesetzte Virtuelle Gegenstromimpaktor zum Einsatz“, erkl?rt Dr. Frank Stratmann, Leiter der TROPOS-Wolkengruppe.

Parallel zu den Flugzeugmessungen erfolgen Profilmessungen mit einem Fesselballon an der AWIPEV-Forschungsstation des AWI nahe Ny-?le?sund auf Spitzbergen durch das TROPOS und die Universit?t Leipzig. Dabei werden neben meteorologischen Parametern auch kleinskalige Austauschprozesse, die Strahlung sowie Aerosolparameter vom Boden bis in ein Kilometer H?he untersucht. Diese Messungen wurden erstmals im Herbst 2021 beim ?bergang in die Polarnacht durchgeführt und werden nun beim ?bergang in den Polartag wiederholt, um kontinuierliche Bodenmessungen mit den Flugzeugmessungen zu verknüpfen. Messungen mit bodengestützten Fernerkundungsinstrumenten an der AWIPEV-Forschungsstation sowie neueste Satelliten-Fernerkundungsmethoden und modernste numerische Klimamodelle werden den umfangreichen Datensatz der HALO-(AC)?-Kampagne au?erdem vervollst?ndigen.

Wann und wo wird gemessen?

Das Forschungsflugzeug HALO ist vom 11. M?rz bis 15. April 2022, in Kiruna, Schweden, statio?niert. Die Polarflugzeuge Polar 5 und Polar 6 werden in der Zeit vom 19. M?rz bis 13. April 2022 von Longyearbyen, Spitzbergen, aus operieren. Die Flugzeugmessungen werden sich auf ein Gebiet im n?rdlichen Arktischen Ozean und in der Framstra?e sowie um Svalbard (78°N, 16°E) konzentrieren. ?ber einen erg?nzenden Zeitraum von etwa acht Wochen zwischen Mitte M?rz bis Mitte Mai 2022 sind zudem Ballonmessungen an der AWIPEV-Station nahe Ny-?le?sund, Spitzbergen, geplant. 

Welche Partner sind beteiligt?

HALO-(AC)? ist eine gemeinsame Forschungskampagne der Universit?t Leipzig, des Alfred-We?gener-Instituts Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung, des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt, des Leibniz-Instituts für Troposph?renforschung, der Max-Planck-Institute für Meteorologie und Chemie sowie der Universit?ten Bremen, Hamburg, zu K?ln, Mainz und der Lud?wig-Maximilians-Universit?t München sowie internationaler Partner. Mehr als 100 Wissenschaftler:innen aus 12 L?ndern werden sich an dem Forschungsprojekt beteiligen. HALO-(AC)? kombiniert die Forschungen zur ?Arktischen Verst?rkung“ innerhalb des Infrastruktur-Schwerpunktprogramms zur wissenschaftlichen Nutzung von HALO und des Sonderforschungsbereich/Transregio Arktische Klima?nderung (AC)? (ArctiC Amplifica?tion: Climate Relevant Atmospheric and SurfaCe Processes, and Feedback Mechanisms). Beide Gro?projekte werden von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gef?rdert. 

Alarmierende Beobachtungen aktueller HALO-Messflüge

Seit dem 12. M?rz 2022 hat HALO bereits mehrere sehr erfolgreiche Forschungsflüge von Kiruna über die Norwegische und die Gr?nl?ndische See sowie die Framstra?e zum Nordpol durchgeführt. Bei diesen Flügen wurde ein massiver Warmlufteinschub in die Arktis untersucht, bei dem mehrere ungew?hnliche Ph?nomene wie zum Beispiel starker Regen über dem Meereis beobachtet wurden. Dieser Regen k?nnte schwerwiegende Auswirkungen auf ein m?gliches frühes Abschmelzen des Meereises haben, und das bereits Mitte M?rz. Au?erdem wurden massive Wolken registriert, die fast so hoch waren wie in den Tropen. Die Oberfl?chentemperaturen in der Framstra?e waren w?hrend der ersten Flüge um mehr als 20 Grad Celsius h?her als in den Langzeitaufzeichnungen erwartet. Nicht nur die Intensit?t des beobachteten Warmlufteinschubs, sondern auch die Dauer erscheint ungew?hnlich. Am Dienstag und Mittwoch dieser Woche wurde ein weiterer Feuchtigkeitstransport in die Arktis beobachtet, der als "Atmospheric River" bezeichnet wird und wahrscheinlich zu Rekordniederschl?gen und einer noch st?rkeren Erw?rmung der gesamten Arktis führen wird. Die Vorhersageprodukte deuten darauf hin, dass das Meereis durch diese massive Erw?rmung ernsthaft gest?rt wird. Die Wissenschaftler:innen vor Ort sind sehr gespannt auf weitere Gro?ereignisse und hoffen, diese in den kommenden Tagen weiter verfolgen zu k?nnen. Mit der Ankunft der Polarflugzeuge Polar 5 und Polar 6 am 18. M?rz 2022 auf Spitzbergen k?nnen die geplanten, koordinierten Messflüge durchgeführt werden, um die Komplexit?t dieser Ereignisse besser zu verstehen.

?ber HALO

Das Forschungsflugzeug HALO ist eine Gemeinschaftsinitiative deutscher Umwelt- und Klimaforschungseinrichtungen. Gef?rdert wird HALO durch Zuwendungen des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF), der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), der Helmholtz-Gemeinschaft, der Max-Planck-Gesellschaft (MPG), der Leibniz-Gemeinschaft, des Freistaates Bayern, des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT), des Forschungszentrums Jülich (FZJ) und des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR).

?ber Polar 5 und Polar 6

Das Alfred-We?gener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) forscht in oft unzug?nglichen, eisbedeckten Gebieten der Arktis und Antarktis. Der Einsatz von Forschungsflugzeugen ist hier unverzichtbar. Die beiden Maschinen Polar 5 und Polar 6 des Typs Basler BT-67 sind für die Flüge unter den extremen Umweltbedingungen der Polargebiete speziell ausgerüstet. Auf Beton-, Schotter- und Schneepisten k?nnen die Flieger mithilfe eines kombinierten Ski- und Radfahrwerks starten und landen. Enteisungssysteme, Heizmatten für Batterien und Triebwerke sowie erweiterte Navigationssysteme erlauben sogar den Blindflug, Landungen bei sehr schwierigen Wetterbedingungen und Temperaturen von bis zu -54 Grad Celsius.

Hinweis für Medienvertreter:innen:

Fotos in hoher Aufl?sung finden Sie zur kostenlosen Nutzung bei Angabe der Quellen unter: speicherwolke.uni-leipzig.de/index.php/s/87LAGYMKNznNjzB