Pressemitteilung I2024/001 vom

Ein Forschungsteam unter der Leitung des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversit?tsforschung (iDiv) und der Universit?t Leipzig hat einen Algorithmus entwickelt, der Beobachtungsdaten der App Flora Incognita analysiert. Daraus lassen sich ?kologische Muster ableiten, die Aufschluss über die Auswirkungen des Klimawandels auf die Pflanzenwelt geben. Die Studie wurde im Fachmagazin "Methods in Ecology and Evolution" ver?ffentlicht.

Pflanzen reagieren auf jahreszeitliche Ver?nderungen, etwa indem ihre Knospen aufbrechen, sie Bl?tter austreiben oder blühen. Der Klimawandel k?nnte diese Phasen im Lebenszyklus von Pflanzen verschieben – und umgekehrt k?nnen Daten über solche ph?nologischen Ver?nderungen an vielen verschiedenen Orten und bei verschiedenen Pflanzen Rückschlüsse über die Auswirkungen des Klimawandels erlauben. Doch für solche Analysen werden viele Daten ben?tigt – ohne die Beteiligung von Bürgerwissenschaftlerinnen und Bürgerwissenschaftlern w?re eine Datenerfassung im gro?en Stil undenkbar. ?Das Problem ist: Je weniger Menschen sich als Bürgerwissenschaftler an solchen Datensammlungen beteiligen, desto st?rker leidet die Qualit?t der Daten“, sagt Erstautorin Karin Mora, Wissenschaftlerin an der Universit?t Leipzig und bei iDiv.

Mobile Apps wie Flora Incognita k?nnten hier Abhilfe schaffen. Sie erm?glichen es den Nutzerinnen und Nutzern, unbekannte Pflanzen, die ihnen in der Natur ins Auge fallen, anhand von Fotos zu identifizieren. ?Wenn ich mit der App eine Pflanze aufnehme, dann wird diese Beobachtung mit einem Orts- und Zeitstempel versehen“, sagt Ko-Autorin Jana W?ldchen vom Max-Planck-Institut für Biogeochemie (MPI-BGC), die Flora Incognita gemeinsam mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der TU Ilmenau entwickelt hat. ?Damit haben sich inzwischen Millionen von zeitgestempelten Pflanzenbeobachtungen aus verschiedenen Regionen angesammelt.“ Zwar erfassen auch Erdbeobachtungssatelliten die Ph?nologie ganzer ?kosysteme von oben, mit den gewonnen Daten l?sst sich aber nicht so leicht beurteilen, welche Prozesse tats?chlich am Boden ablaufen.

Pflanzen reagieren synchron

Die Forschenden entwickelten einen Algorithmus, der auf fast 10 Millionen Beobachtungen von fast 3000 Pflanzenarten zurückgriff, die zwischen 2018 und 2021 über die Flora Incognita-App in Deutschland erfolgten. Jede Pflanze verfügt über einen eigenen Rhythmus, also zum Beispiel eine eigene Blühphase oder eine eigene Vegetationsphase. Die Untersuchungen der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zeigten, dass aus diesem individuellen Verhalten ein Gruppenverhalten auftritt. Daraus konnten sie wiederum ?kologische Muster ableiten und untersuchen, wie sich diese innerhalb eines Jahreszyklus ver?ndern. So unterscheiden sich etwa ?kosysteme am Fluss von denen in den Bergen, wo ph?nologische Ereignisse sp?ter einsetzen.

Das Verfahren berücksichtigt auch das Beobachtungsverhalten der Nutzerinnen und Nutzer, das - anders als bei einer klassischen Datenerhebung - nicht systematisch erfolgt.  So werden über die App mehr Beobachtungen am Wochenende und in dicht besiedelten Gebieten verzeichnet. ?Unsere Methode kann diese Effekte von den ?kologischen Mustern automatisiert isolieren“, erkl?rt Karin Mora. ?Weniger Beobachtungen bedeuten auch nicht, dass wir die Synchronisation nicht erfassen k?nnen. Natürlich gibt es im tiefen Winter sehr wenige Beobachtungen, aber da gibt es auch nur sehr wenige Pflanzen, die man beobachten kann.“

Es ist bekannt, dass sich aufgrund des Klimawandels auch jahreszeitliche Verschiebungen ergeben und der Frühling immer eher einsetzt - was das konkret für die Beziehung zwischen Pflanzen und Insekten und somit auch für die Ern?hrungssicherheit bedeutet, wird derzeit noch erforscht. Mithilfe des neuen Algorithmus l?sst sich nun besser untersuchen, welche Auswirkungen diese Ver?nderungen auf die Pflanzenwelt haben.

Diese Studie wurde unter anderem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG; FZT-118) und durch den iDiv-Flexpool gef?rdert. Die Arbeit des Forschungsteams wird zudem finanziert vom S?chsischen Ministerium für Wissenschaft, Kultur und Tourismus (SMWK), im Rahmen von Sondermitteln für die Exzellenzcluster-Initiative "Breathing Nature".

Originalpublikation:
Karin Mora, Michael Rzanny, Jana W?ldchen, Hannes Feilhauer, Teja Kattenborn, Guido Kraemer, Patrick M?der, Daria Svidzinska, Sophie Wolf, Miguel D. Mahecha (2024): Macrophenological dynamics from citizen science plant occurrence data. Methods in Ecology and Evolution, DOI: 10.1111/2041-210X.14365