Pressemitteilung 2023/103 vom

Phosphor gilt als einer der Bausteine des Lebens und wurde bislang noch nie jenseits der Erde entdeckt. Dass sich in einem Ozean unter dem Eis des Saturnmondes Enceladus Phosphorsalze befinden, haben jetzt Wissenschaftler:innen aus Deutschland, Japan und den USA nachgewiesen und ihre Ergebnisse in der Zeitschrift ?Nature“ ver?ffentlicht. Unter ihnen ist Prof. Dr. Bernd Abel vom Institut für Technische Chemie der Universit?t Leipzig. Welche Rolle Chemiker:innen neuerdings bei der Erforschung des Weltalls spielen, erkl?rt er im Interview.

Professor Abel, Sie sind Teil eines internationalen Forschungsteams, das Messergebnisse der Raumsonde Cassini ausgewertet und in Laborexperimenten simuliert hat. Diese Sonde hat von 2004 bis 2017 den Saturn und seine Monde erforscht. Welche Rolle kam Ihnen dabei als Chemiker zu?

Die meisten Mitglieder des Teams arbeiten bereits seit mehr als zehn Jahren auf diesem speziellen Gebiet sehr erfolgreich zusammen. W?hrend die Entwicklung von Instrumenten eine Dom?ne der Physik ist, sind lebende Systeme eine Dom?ne der Biologie. Die Chemie verbindet beides und sie wird auch künftig extrem wichtig sein, um das Konzept der chemischen Evolution von einfachen Molekülen über komplexere chemische Strukturen bis hin zu einfachen lebenden Systemen zu verstehen.

Wir haben in Leipzig Ger?te und Methoden entwickelt, die unabdingbar sind für Laborexperimente zur Interpretation von Massenspektren der Cassini-Sonde. Massenspektren bilden ab, welche Substanzen in einer Probe enthalten sind, und waren der Schlüssel für ein Verst?ndnis der Chemie im Ozean unter der Eiskruste des Enceladus und anderer Monde in unserem Sonnensystem.

Wir haben au?erdem quantenchemische Methoden für die Nachbildung chemischer Prozesse genutzt, dafür geh?ren zu meinem Team auch Physiker:innen. Die Chemiker:innen in meinem Team, die sich auf physikalische und technische Chemie spezialisiert haben, sind insbesondere auch für die chemische Modellierung und Modellbildung verantwortlich.

Wir sprechen von Proben, die in über 1,3 Milliarden Kilometer Entfernung ?eingesammelt“ wurden. K?nnen Sie kurz erl?utern, wie die Messungen vorgenommen wurden und wie Sie die Ergebnisse dann ausgewertet haben?

Auf der Oberfl?che des Saturnmondes Enceladus herrschen minus 200 Grad Celsius und unter der viele Kilometer dicken Eiskruste liegt ein Ozean aus Wasser, auf dessen Grund es um die 90 Grad Celsius hei? werden kann.

Die Cassini-Sonde untersuchte die Zusammensetzung des Ozeans, indem sie Material im Vorbeiflug analysierte, das von den kryovulkanischen Geysiren am Südpol des Mondes in den Weltraum geschleudert wurde. Mit dem sogenannten Cosmic Dust Analyzer (CDA) an Bord der Sonde wurden unter anderem Massenspektren der untersuchten Eisk?rner aufgenommen. Damit war im Prinzip  eine chemische Analyse der Bestandteile, also Moleküle, Salze, Elemente, der Eispartikel m?glich.

Diese komplexen Massenspektren galt es nun zu analysieren. Die von uns entwickelte Apparatur im Leipziger Labor und unsere Methoden gestatten eine Simulation der Bedingungen im Weltraum. Wir simulierten also den Einschlag von Eispartikeln auf dem Cosmic Dust Analyzer an Bord der Cassini-Sonde, der typische aber komplexe und unbekannte Muster in den Massenspektren erzeugt hatte.  Unsere Laborexperimente erm?glichten uns, diese Muster  zu verstehen und lie?en interessante Rückschlüsse auf die Chemie in der w?ssrigen Phase unter dem Eispanzer des Enceladus (und anderer Monde im Sonnensystem) zu.

Wie wichtig sind die Ergebnisse für die weitere Erforschung des Weltalls? Werden Chemiker:innen auch künftig an ?hnlichen Missionen beteiligt sein? 

Mit Phosphor wurde zun?chst der letzte noch fehlende elementare Baustein auf Enceladus entdeckt, der für Leben und Lebensformen? so wie wir es kennen unabdingbar ist. Die Suche nach Leben wird eine besondere Rolle in zukünftigen Missionen der NASA und ESA spielen. Sicherlich wird man zun?chst nach komplexeren Molekülen suchen auf dem Weg hin zu lebenden Systemen. 

Die Jupiter-Icy-Moons-Explorer-Mission der ESA (JUICE) wird zum Beispiel mit einer Reihe von Fernerkundungs-, geophysikalischen und in-situ-Instrumenten detaillierte Beobachtungen des riesigen Gasplaneten und seiner drei Monde – Ganymed, Callisto und Europa – durchführen. Die Mission wird diese Monde sowohl als planetarische Objekte als auch als m?gliche Lebensr?ume erforschen. 

Wie in unserem neuesten Artikel in der Zeitschrift ?Nature“ zu lesen ist, kommt der Chemie auf der Suche nach Leben, wie wir es kennen, eine besondere Bedeutung zu. Nur sie ist in der Lage, die gro?e Wissenslücke der chemischen Evolution zwischen einfachen Biomolekülen und ersten komplexen biomolekularen Komplexen bis hin zu ersten einfachen lebenden Organismen zu verstehen.

Hintergrund

Die Entdeckung von Phosphorsalzen im Ozean unter dem Eismantel des Enceladus wurde gerade in der renommierten Fachzeitschrift ?Nature“ ver?ffentlicht. Unter der Leitung eines Forschungsteams von der Freien Universit?t Berlin waren weitere Teams von Wissenschaftler:innen aus Leipzig, Stuttgart, Japan und den USA an den Ergebnissen beteiligt. Prof. Dr. Bernd Abel ist Professor für Technische Chemie an der Universit?t Leipzig und forscht zu Materialien und Methoden für Sensortechnik und Energieanwendungen. In dem Forschungsprojekt zur Cassini-Mission war er  insbesondere für die Entwicklung von Apparaturen und Methoden für sogenannte ?Labor-Analogexperimente“ verantwortlich, mit denen die komplexen Massenspektren der Cassini-Sonde simuliert und schlie?lich interpretiert werden k?nnen. Au?erdem war er unter anderem für die Auswertung der Massenspektren mit Hilfe der im Labor aufgenommenen Daten und quantenchemischer Rechnungen zust?ndig. 

Abel ist auch Mitglied des neuen Sonderforschungsbereichs ?Hyperpolarisation in Molekularen Systemen“ (HYP*MOL) an der Universit?t Leipzig und der TU Chemnitz, der vor Kurzem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft bewilligt wurde.

Mehr über die Erforschung des Weltalls mit den Mitteln der Chemie berichtet Professor Abel in Folge 34 von ?Auf einen Kaffee mit…“, dem Wissenschaftspodcast der Universit?t Leipzig.

Prof. Dr. Bernd Abel ist einer von rund 200 Expert:innen der Universit?t Leipzig, auf deren Fachwissen Sie in unserem Expertendienst zurückgreifen k?nnen.