Pressemitteilung 2021/035 vom

Wissenschaftlern der Universit?t Leipzig ist in Zusammenarbeit mit Kollegen aus Deutschland und den USA ein Durchbruch in der Forschung zur Verbreitung von Krebszellen gelungen. Die Biophysiker um Prof. Dr. Josef Alfons K?s, Steffen Grosser und Jürgen Lippoldt konnten in Experimenten erstmals nachweisen, wie sich Zellen verformen, um sich in dichten Tumorgeweben zu bewegen und sich zwischen ihren Nachbarzellen durchzuquetschen. Die Forscher stellten fest, dass bewegliche Zellen gemeinsam das Tumorgewebe verflüssigen.

K?s hat das Forschungsprojekt in Kooperation mit Prof. Dr. Lisa Manning von der Universit?t Syracuse (USA) und Prof. Dr. Bahriye Aktas vom Universit?tsklinikum Leipzig geleitet. Sie haben ihre Ergebnisse jetzt in ?Physical Review X“ ver?ffentlicht, einem führenden Fachjournal für Physik, das vor allem bahnbrechende Forschungsergebnisse publiziert.

?Diese ersten Beobachtungen eines Phasenübergangs bei menschlichen Tumoren ver?ndern unsere grundlegenden Konzepte der Tumorprogression und k?nnten die Krebsdiagnose und -therapie verbessern“, sagt K?s, der sich seit Jahren mit den physikalischen Eigenschaften von Krebszellen besch?ftigt. Die Forschungen h?tten gezeigt, dass menschliche Tumoren feste und flüssige Zellcluster enthalten, was einen Durchbruch beim Verst?ndnis der Tumormechanik darstellt. Die Resultate bildeten die Grundlage für das erste Verfahren, mit dem sich metastasierende Krebszellen bereits im Tumor nachweisen lassen.

In Tumorproben von Patienten der Uniklinik fanden die Wissenschaftler Regionen mit beweglichen Zellen sowie stabile, feststoffartige Regionen ohne Zellbewegung. Aus physikalischer Sicht sollten sich Zellen nicht in der dichten Tumormasse bewegen k?nnen – Tumore sind so dicht mit Zellen überfüllt, dass in jedem klassischen Material die Bewegung angehalten werden würde. 

Die Forscher entwickelten daher einen neuen Ansatz in der Lebendmikroskopie von Tumoren, indem sie menschliche Tumorproben direkt nach der Operation fluoreszent f?rbten und so Zellbewegungen live beobachten konnten. So fanden sie heraus, dass diese Zellbewegung entgegen allen bisherigen Erkenntnissen doch stattfindet und mit starken Kerndeformationen verbunden ist. Sie beobachteten, wie sich Zellen und ihre Kerne buchst?blich durch das Gewebe quetschen, indem sie sich stark deformieren.

?Zellen in biologischen Geweben verhalten sich ?hnlich wie Menschen in einer Bar. Bei geringen Dichten k?nnen sie sich frei bewegen. Wenn es jedoch sehr voll ist, wird jede Bewegung schwierig. Aber selbst in einer überfüllten Bar k?nnen Sie sich immer noch durchdrücken, wenn Sie sich seitw?rts drehen. Genau diesen Effekt sehen wir in Tumorgeweben“, erkl?rt K?s. Die Forscher glauben, dass dieser Flüssigkeitsübergang erkl?rt, wie sich Zellen in einem Tumor bewegen und vermehren k?nnen, was schlie?lich zu Metastasen führt. Die flüssigen Gewebe waren mit l?nglichen, deformierten Zellen und Kernen angereichert. Statische Bilder von l?nglichen Zell- und Kernformen k?nnten somit als Fingerabdruck für die metastatische Aggressivit?t eines Tumors dienen. 

?Dies sind spektakul?re Ergebnisse aus dem Bereich der Krebs-Physik. Wir müssen jetzt untersuchen, ob die flüssigen Regionen die Tumoraggressivit?t vorhersagen k?nnen. Hier haben wir einen Krebs-Marker gefunden, der aktive, bewegliche Regionen anzeigt und der auf einem einfachen physikalischen Mechanismus beruht “, sagt Steffen Grosser. Derzeit leitet Professor K?s eine klinische Studie ein, um das Potenzial der Zell- und Kernform als neuen Tumormarker zu untersuchen, mit dem Patienten viel gezielter als bisher untersucht und behandelt werden k?nnten.

Originaltitel der Ver?ffentlichung in Physical Review X:
Cell and Nucleus Shape as an Indicator of Tissue Fluidity in Carcinoma
DOI: doi.org/10.1103/PhysRevX.11.011033