Pressemitteilung 2024/095 vom

Vor kurzem ver?ffentlichte das Bundesjustizministerium den Gesetzesentwurf zur finanziellen Verbesserung für politisch verfolgte Bürger:innen in der ehemaligen DDR. Viele Betroffene sind nach wie vor benachteiligt. Die gesundheitlichen Folgen politischer Traumatisierung untersuchte ein Forschungsverbund der Universit?ten Leipzig, Jena, Magdeburg und Rostock drei Jahre lang. Sein Fazit: Bis heute leiden Menschen an vergangenen Repressionen und müssen sich mit Stigmatisierungen auseinandersetzen. Die Betroffenen weisen eine hohe Rate für psychische St?rungen auf und reagieren in Stresssituationen, knapp 35 Jahre nach der politischen Wende, k?rperlich wie emotional st?rker als ihre Zeitgenoss:innen.

?Die Geschichten der Opfer von SED-Unrecht sind verst?rend. Viele erfahren auch heute noch Ausgrenzung, oft bedingt durch die bürokratischen Strukturen, denen sie ausgesetzt sind“, resümiert Prof. Dr. Georg Schomerus. Der Professor für Psychiatrie an der Universit?t Leipzig fand heraus, dass es Betroffene beim Zugang zu Sozial- und Gesundheitsleistungen besonders schwer haben. ?Menschen mit SED-Unrechtserfahrung werden tats?chlich von Mitarbeitern im Gesundheitssystem h?ufig negativer gesehen als Menschen ohne solche Erfahrungen. Hier muss eine Sensibilisierung für die Bedarfe dieser Gruppe erfolgen“, betont der Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie vom Universit?tsklinikum Leipzig.

Eine Vorgeschichte von SED-Unrechtserfahrungen l?st bei im Gesundheitssystem T?tigen eine st?rkere Ablehnung aus als eine konfliktfreie DDR-Biografie. Das ergab eine Umfrage unter 750 Personen aus dem medizinischen Bereich. Passend dazu berichteten ehemalige Haftopfer im Rahmen der Beantragung von SED-Unrechts-Entsch?digungsverfahren von Traumareaktualisierungs- und Retraumatisierungserfahrungen.

Forschende arbeiteten mit verschiedenen Betroffenengruppen zusammen

Die vier Standorte der Universit?tsmedizin Jena, Leipzig, Magdeburg und Rostock forschten in zw?lf Teilprojekten an verschiedenen gesundheitlich relevanten Themen wie Stigma, Beratung, Begutachtung, psychische und k?rperliche sowie psychobiologische Folgen. Dafür arbeiteten sie mit verschiedenen Betroffenengruppen zusammen: sogenannte Zersetzungsopfer, Frauen, die von Hepatitis-C-kontaminierter Anti-D-Prophylaxe betroffen sind, und zwangsgedopte Leistungssportler:innen.

?Unsere Forschungsergebnisse belegen, dass die gesundheitlichen Langzeitfolgen von SED-Unrecht auch heute schweres Leid verursachen. Das betrifft nicht nur ehemals politisch Inhaftierte, die um Wiedergutmachung k?mpfen, oft vergeblich und in sich jahrelang hinziehenden Verfahren. Auch Opfer von Sch?digungen im Gesundheitswesen, zum Beispiel durch Hepatitisvirus-verseuchte Spritzen, leiden bis heute. Glücklicherweise gibt es inzwischen spezielle Beratungsangebote und Netzwerke, die den Opfern helfen, und zu deren Verbesserung und Weiterentwicklung wir als Forschungsverbund beitragen“, fasst Prof. em. Dr. J?rg Frommer von der Otto-von-Guericke-Universit?t Magdeburg zusammen. Er hatte das Forschungsprojekt auf den Weg gebracht, das ab dem zweiten Jahr unter der Sprecherschaft von Prof. Dr. Bernhard Strau? vom Universit?tsklinikum Jena koordiniert wurde.

Noch viel Unkenntnis über die DDR und die Praktiken der SED 

Die in Jena durchgeführten Untersuchungen zu organisierter Gewalt und vor allem die zu nicht-strafrechtlicher Repression belegen, ?dass die Folgen des SED-Unrechts auch heute noch sichtbar sind und bestimmte Opfergruppen, allen voran Menschen mit Zersetzungserfahrungen, auch heute noch Auff?lligkeiten im Hinblick auf die Stressreagibilit?t zeigen. Diese wiederum gelten als Risikofaktor für die Entwicklung psychischer, aber auch k?rperlicher St?rungen“, beschreibt Professor Strau? die Ergebnisse.

Ein weiteres Projekt in Jena befasste sich mit der curricularen Weiterbildung für die Fallarbeit. Hierzu resümiert Strau?: ?Im Zusammenhang mit Hilfsangeboten in Beratung und Rehabilitierungsverfahren zeigt sich, dass trotz einer guten Struktur von Angeboten, die es in den neuen Bundesl?ndern gibt, noch viel Unkenntnis über die DDR und die Praktiken der SED herrscht, die es gilt, in zukünftigen Fort- und Weiterbbildungsveranstaltung gezielt zu beheben.“

Zwei Projekte unter Leitung von Prof. Dr. Carsten Spitzer von der Universit?tsmedizin Rostock fokussierten auf minderj?hrig zwangsgedopte Athlet:innen und ihre Erfahrungen im Leistungssportsystem der DDR. In ihren Lebensgeschichten fand sich ein hohes Ausma? an biografisch frühen (traumatischen) Belastungen. Die Anzahl von depressiven, Angst- und chronischen Schmerzst?rungen lag ein Vielfaches über den Raten in der Allgemeinbev?lkerung. Nur bei einer sehr kleinen Minderheit von rund 2 Prozent wurde überhaupt keine psychische St?rung im Lebensverlauf diagnostiziert.

?hnliches berichteten Betroffene der Hepatitis-C-kontaminierten Anti-D-Prophylaxe, deren Kombination aus somatischen und psychischen Sch?den zu anhaltender Frustration, Verzweiflung, Misstrauen gegenüber staatlichen Institutionen und zum Rückzug aus dem sozialen Leben führte. Menschen, die in der DDR unter intensiven nicht-strafrechtlichen Repressionen litten, insbesondere unter ?Zersetzung“, reagieren noch heute in Stresssituationen k?rperlich und emotional sehr intensiv. Sie weisen eine hohe Rate für spezifische psychische St?rungen wie Angst, affektive und dissoziative St?rungen auf. 

Weiterbildungen für andere Berufsgruppen geplant

Ein Fachbeirat, zu dem unter anderem die sechs Landesbeauftragten zur Aufarbeitung der SED-Diktatur und die SED-Opferbeauftragte, wie auch Personen aus Wissenschaft und Betroffenenverb?nden z?hlen, unterstützte den Forschungsverbund. Die aktuellen Ergebnisse bieten eine entscheidende Grundlage, um curriculare Weiterbildungen für andere Berufsgruppen zu erarbeiten, die mit Betroffenen zusammenarbeiten. Darüber hinaus soll eine Online-Literaturdatenbank künftig dazu dienen, die Forschungsergebnisse weiter zu verbreiten.

Der Forschungsverbund wurde vom Beauftragten der Bundesregierung für Ostdeutschland gef?rdert. 

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