Pressemitteilung 2022/083 vom

Deutschland bemüht sich um Klimaneutralit?t, doch vor allem der Ausbau der Windenergie an Land kommt nur stockend voran. Was sind die Gründe dafür? Was müsste passieren, um diese Energieart st?rker als bisher nutzen zu k?nnen? Wo sind die Hürden? – Wissenschaftler:innen der Nachwuchsforschungsgruppe Multiple Umweltwirkungen Erneuerbarer Energien (MultiplEE) der Universit?t Leipzig haben gerade gemeinsam mit Kolleg:innen des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) Leipzig einen Policy Brief zu dieser Thematik verfasst, in dem sie der Bundesregierung Handlungsempfehlungen für den angestrebten Ausbau der Windenergie geben und die aktuellen L?sungsvorschl?ge dazu wissenschaftlich einordnen. Im Interview erl?utert der Leiter der Nachwuchsforschungsgruppe MultiplEE, Juniorprofessor Dr. Paul Lehmann, die in dem Paper formulierten fünf Thesen.

Herr Lehmann, wann soll das Sommerpaket der Bundesregierung zum Ausbau der Windenergie verabschiedet werden?

Die Bundesregierung will noch vor der Sommerpause diverse Vorschl?ge vorlegen, um die Energiewende voranzubringen. Die ersten Entwürfe werden schon für Mai erwartet. Geplant ist unter anderem ein Windenergie-an-Land-Gesetz. Damit sollen mehr Fl?chen für neue Windenergieanlagen bereitgestellt und deren Genehmigung vereinfacht werden.

An wen konkret richten sich Ihre Politikempfehlungen?

Der Policy Brief fasst Ergebnisse aus der Windenergieforschung der letzten Jahre an der Universit?t Leipzig sowie am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) zusammen. Er richtet sich insbesondere an Entscheider und Entscheiderinnen in Politik, Verwaltung und Verb?nde – aber auch an interessierte Bürger und Bürgerinnen.

Sie und Ihre Kolleg:innen empfehlen, L?ndern und Kommunen positive Anreize zur Ausweisung von Fl?chen für Windenergie zu geben. Wie k?nnten diese aussehen?

Es liegt vor allem in der Hand von L?ndern und Kommunen, Fl?chen für die Windenergie bereitzustellen. Das werden sie aber nur dann in ausreichendem Ma?e tun, wenn L?nder, Kommunen und die Menschen vor Ort unmittelbar vom Ausbau der Windenergie profitieren. Kommunen k?nnen beispielsweise eine Abgabe von den Windparkbetreibern erhalten. Bislang ist die Zahlung für die Betriebe freiwillig. Diese Art der finanziellen Beteiligung k?nnte durch eine verpflichtende Abgabe gest?rkt werden. M?glicherweise muss die Abgabe auch erh?ht werden. Bisher erhalten Kommunen in der N?he eines Windrads ungef?hr 20.000 Euro pro Jahr und Windrad. Und auch Bürger und Bürgerinnen k?nnten noch st?rker von den Windenergieanlagen vor Ort profitieren - etwa durch vergünstigte Stromtarife oder Bürgerenergiegenossenschaften. Es ist daher gut, dass die Bundesregierung die F?rderbedingungen für Bürgerenergiegenossenschaften vereinfachen will. Insgesamt k?nnten solche Anreize einen Beitrag dazu leisten, dass sich mehr Menschen vor Ort für die Windenergie einsetzen. Umfragen zeigen n?mlich, dass eine schweigende Mehrheit der Bev?lkerung kein Problem mit Windr?dern vor der Haustür hat.

Befürchten Sie, dass es durch den von Ihnen vorgeschlagenen Verzicht von Siedlungsmindestabst?nden zu Windkraftanlagen zu Protesten der Anwohner oder Kommunen kommen k?nnte?

Wichtig ist zun?chst: Ein Mindestschutz von Anwohnerinnen und Anwohnern wird immer gewahrt sein. Das Bundesimmissionsschutzgesetz legt Mindestabst?nde zwischen Windr?dern und Siedlungen fest, um Menschen vor L?rm zu schützen. Diese Regeln würden weiter gelten. Abgeschafft werden sollten jedoch pauschale Siedlungsmindestabst?nde, die noch mal deutlich über die Regelungen des Bundesimmissionsschutzgesetzes hinausgehen. Solche Regelungen gelten seit einigen Jahren zum Beispiel schon in Bayern oder Nordrhein-Westfalen. Weitere L?nder wie Sachsen und Brandenburg wollen jetzt ebenfalls einen pauschalen Mindestabstand von tausend Metern einführen. Es gibt jedoch keine eindeutigen wissenschaftlichen Belege, dass solch pauschale Mindestabst?nde die Akzeptanz der Windenergie verbessern k?nnen. Die pauschalen Mindestabst?nde zu Siedlungen reduzieren aber die verfügbaren Fl?chen für die Windenergie drastisch. Sie k?nnen auch dazu führen, dass Windenergieanlagen von Siedlungen weg hin in ?kologisch sensiblere Bereiche verdr?ngt werden. Letztlich schaffen die aktuellen, pauschalen Siedlungsmindestabst?nde so auch viele neue Konflikte. Damit ein Verzicht auf pauschale Siedlungsmindestabst?nde gesellschaftlich akzeptiert wird, braucht es mehr Bewusstsein für diese Aspekte.

Stichwort Artenschutz: Wie k?nnten artenschutzrechtliche Vorgaben konkretisiert werden? Warum ist das bis jetzt noch nicht geschehen?

Konkretisiert werden müssen insbesondere die Regelungen für das artenschutzrechtliche Genehmigungsverfahren für neue Windr?der. Welche Tierarten müssen dafür berücksichtigt werden? Wann genau besteht ein signifikant erh?htes T?tungsrisiko für diese Tierarten? Unter welchen Bedingungen k?nnen artenschutzrechtliche Ausnahmen gew?hrt werden? Bislang wird das mehr oder weniger verbindlich durch jedes Bundesland selbst geregelt. Die Bundesl?nder haben sich nie auf gemeinsame Standards verst?ndigen k?nnen. Es ist daher gut und sinnvoll, dass Bundesumweltministerium und Bundeswirtschaftsministerium nun konkretisierte und bundesweit einheitliche Regelungen festlegen wollen.

Sie empfehlen auch eine Ausweitung des Fl?chen-Monitorings. Wie weit ist das bis heute gediehen? Wo gibt es noch Probleme?

Im letzten Jahr wurde ein Bund-L?nder-Kooperationsausschuss eingesetzt, um unter anderem ein Fl?chen-Monitoring auf den Weg zu bringen. Der Bericht des Ausschusses enth?lt bislang aber nur sehr grobe Daten dazu, wie viele Fl?chen die Bundesl?nder in der Summe für die Windenergie bereitstellen. Ben?tigt werden r?umlich viel h?her aufgel?ste Daten. Nur so kann man feststellen, inwieweit die Fl?chen überhaupt für die Windenergie geeignet sind und wie viele Windr?der dort bereits stehen. Diese Informationen sind notwendig, um absch?tzen zu k?nnen, ob die Fl?chen für die Erreichung der Energiewendeziele ausreichen. Die Sammlung dieser Daten ist bislang extrem aufwendig. Sie liegen dezentral bei L?ndern, regionalen Planungsverb?nden und Kommunen. Diese Planungstr?ger sollten daher zukünftig verpflichtet werden, ihre Daten regelm??ig an eine Bundesbeh?rde zu melden.