Sexualit?t, Macht oder Flirt? Erfahren Sie, warum es wichtig ist, sexualisierte Diskriminierung und Gewalt zu thematisieren. Was ist erlaubt, was nicht und wo liegen die Probleme und Grenzen im Arbeits- und Studienumfeld?

Meilensteine vor #MeToo

In den 60er Jahren war der Begriff Sexual Harassment (englisch to harass: bedr?ngen, schikanieren, sexuelle Bel?stigung) in den USA kaum bekannt. Frauen fehlten mithin schlicht die Worte, um ihre Erfahrungen zu beschreiben. Aufgrund der fehlenden Definition waren sich auch Vorgesetzte und T?ter:innen kaum einer Schuld bewusst.

Der Ausdruck Sexual Harassment wurde 1975 von einer Gruppe von Frauen an der Cornell University gepr?gt. Einer ehemaligen Mitarbeiterin der Universit?t, Carmita Wood, wurde Arbeitslosenunterstützung verwehrt, nachdem sie wegen unerwünschter Berührungen von ihrem Vorgesetzten von ihrem Job zurückgetreten war. Die ?rtliche Studierendengruppe der Cornell Universit?t rief aufgrund dieses Vorfalls die Gruppe Working Women United ins Leben und forderte rund 300 Frauengruppen und -organisationen auf, ihre Erfahrungen mit sexueller Bel?stigung am Arbeitsplatz ?ffentlich zu machen. Dabei wurde zum ersten Mal den Begriff Sexual Harassment verwendet. Es folgten überw?ltigende Reaktionen auf den Aufruf und die New York Times titelte: Women begin to speak out a sexual harassment at work. Berichte zahlreicher Sekret?rinnen, Postangestellten, Filmschaffenden, Fabrikarbeiterinnen und Kellnerinnen verdeutlichten, dass es sich um ein gesamtgesellschaftliches Problem handelte.

In Deutschland l?ste im August 1983 der Fall Klaus Hecker, Bundestagsabgeordneter der Grünen, die erste gro?e ?ffentliche Debatte über sexuelle Bel?stigung aus. Hecker hatte Mitarbeiterinnen sexualisiert diskriminiert. In der Folge ver?ffentlichten die Grünen eine Studie zum Ausma? sexueller Bel?stigung, in der jede vierte Frau berichtete ein oder mehrmals am Arbeitsplatz sexuell bel?stigt worden zu sein. In der Folge gab es mehrere Versuche auf nationaler und europ?ischer Ebene das Ausma? sexueller Bel?stigung genauer zu untersuchen und Schutzma?nahmen zu entwickeln.

zur Vergr??erungsansicht des Bildes: Women's March Paris 2017
Women's March Paris 2017. Foto: Melissa Brunet, http://MelissaBrunet.com, https://www.instagram.com/melissabrunet_paris, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons

Erst am 1. September 1994 trat in Deutschland das Gesetz zum Schutz der Besch?ftigten vor sexueller Bel?stigung in Kraft. Dort wird der Begriff der sexuellen Bel?stigung erstmals definiert als ?jedes vors?tzliche, sexuell bestimmte Verhalten, das die Würde von Besch?ftigten am Arbeitsplatz verletzt“. Arbeitgeber:innen werden in die Pflicht genommen Besch?ftigte ad?quat zu schützen. 2006 wurde das Gesetz durch das bis heut gültige Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz abgel?st.

Aus den sozialen Medien heraus entstand Anfang 2017 der March on Washington. Mehr als eine halbe Million Menschen protestierten für Frauen- und Menschenrechte und mehr soziale Gerechtigkeit. Im Oktober 2017 beschuldigten mehrere Frauen den Filmproduzenten Harvey Weinstein der sexuellen Bel?stigung, N?tigung oder der Vergewaltigung. Aktivistinnen und Schauspielerinnen haben daraufhin unter dem Hashtag #MeToo weltweit auf das Ausma? von sexualisierter Diskriminierung und ?bergriffen aufmerksam gemacht.

Mit Sexualit?t hat das nichts zu tun!

Was ist sexualisierte Diskriminierung und Gewalt?

  • Definition
    Unter sexualisierter Diskriminierung und Gewalt wird ein unerwünschtes, sexualisiert bestimmtes Verhalten verstanden, welches bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird.


Wann etwas als unerwünscht bzw. grenzüberschreitend empfunden wird, ist individuell. Zu einem respektvollen Umgang z?hlt, die pers?nlichen Grenzen der Mitmenschen zu wahren. Es gilt der Grundsatz: Flirten geschieht in beiderseitigem Einvernehmen, diskriminierendes Verhalten nicht! Sexualisierte Diskriminierung bzw. Gewalt umfasst verbale und nonverbale, sowie offene und verdeckte ?bergriffe. Formen von sexualisierter Diskriminierung bzw. Gewalt k?nnen sein:

Verbal

  • sexuell anzügliche Bemerkungen und Witze
  • aufdringliche und beleidigende Kommentare über die Kleidung, das Aussehen oder das Privatleben
  • sexuell zweideutige Kommentare
  • Fragen mit sexuellem Inhalt, z.B. zum Privatleben oder zur Intimsph?re
  • Aufforderungen zu intimen oder sexuellen Handlungen, z.B. ?Setz dich auf meinen Scho?!“
  • sexualisierte oder unangemessene Einladungen zu einer Verabredung

Nonverbal

  • aufdringliches oder einschüchterndes Starren oder anzügliche Blicke
  • Hinterherpfeifen
  • unerwünschte E-Mails, SMS, Fotos oder Videos mit sexuellem Bezug
  • unangemessene und aufdringliche Ann?herungsversuche in sozialen Netzwerken
  • Aufh?ngen oder Verbreiten pornografischen Materials
  • unsittliches Entbl??en

Physisch

  • jede unerwünschte Berührung (T?tscheln, Streicheln, Kneifen, Umarmen, Küssen), auch wenn die Berührung scheinbar zuf?llig geschieht
  • wiederholte k?rperliche Ann?herung, wiederholtes Herandr?ngeln, wiederholt die übliche k?rperliche Distanz (ca. eine Arml?nge) nicht wahren
  • k?rperliche Gewalt sowie jede Form sexualisierter ?bergriffe bis hin zu Vergewaltigung

H?ufig wird ein Machtgef?lle oder Abh?ngigkeitsverh?ltnis einseitig sexualisiert und damit aufrechterhalten. Mit Sexualit?t hat das nichts zu tun, weshalb statt ?sexueller Bel?stigung“ der Begriff der sexualisierten Diskriminierung bzw. Gewalt zutreffend ist.

Leicht erkl?rt: Sexualisierte Diskriminierung und Gewalt

Flirten geschieht in beidseitigem Einvernehmen, bel?stigendes Verhalten nicht!

Flirt oder ?bergriff?

?War als Kompliment gemeint!“ – Verbale und nonverbale Formen der sexualisierten Diskriminierung bzw. Gewalt werden nicht selten als Witz oder Flirtversuch verharmlost. Oft wird unterstellt, die betroffene Person habe den Flirtversuch oder das ?Kompliment“ falsch verstanden oder der Umgang in der Institution sei eben etwas gr?ber. Eine Grenze ist dabei jedoch ganz klar: Sexualisierte Diskriminierung ist verboten.

Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (§ 4 Absatz 4 AGG), das S?chsische Frauenf?rderungsgesetz (S?chsFFG) und die Dienstvereinbarung Konfliktl?sung am Arbeitsplatz verbieten und schützen vor sexualisierter Diskriminierung bzw. Gewalt am Arbeitsplatz. Sexualisierte Diskriminierung ist ein Dienstvergehen oder eine Verletzung der arbeitsvertraglichen Pflichten (§ 16 Abs. 3 S?chsFFG). Für Studierende gilt der Schutz des AGG derzeit leider nicht.

Seit 2016 ist gem?? § 184i StGB k?rperliche sexualisierte Bel?stigung strafbar. Sexuelle Bel?stigung als eigener Straftatbestand bezieht sich ausschlie?lich auf Bel?stigungen, die mit k?rperlicher Berührung einhergehen. Strafbar ist die Berührung einer anderen Person ?in sexuell bestimmter Weise“, die für das Opfer eine Bel?stigung darstellt. Dazu z?hlen beispielsweise Berührungen der Intimsph?re, d.h. der Geschlechtsorgane, des Ges??es oder der weiblichen Brust sowie Küsse auf den Mund. Sexualisierte Bel?stigungen ohne k?rperliche Berührung sind nur strafbar, wenn sie eine Beleidigung darstellen (§ 185 StGB).

Physische Folgen sexualisierter Diskriminierung k?nnen zum Studienabbruch führen.

Studium

Junge Frauen, Frauen in Ausbildungsverh?ltnissen sowie Frauen, die in m?nnlich dominierten Bereichen arbeiten und queere Menschen sind besonders gef?hrdet, sexualisiert diskriminiert zu werden. An Hochschulen begünstigen insbesondere Machthierarchien und Abh?ngigkeitsverh?ltnisse einen Missbrauch in Form von sexualisierter Diskriminierung und Gewalt. Gem?? einer Studie der Ruhr-Universit?t Bochum erfahren w?hrend des Studiums 54,7 % der weiblichen Studierenden sexualisierte Diskriminierung, 3,3 % waren sogar schwerer sexualisierter Gewalt ausgesetzt. Ein Drittel dieser F?lle fand im Umfeld der Hochschule statt, T?ter:innen waren sowohl Lehrende und andere Hochschulangestellte als auch Kommiliton:innen.

Sexualisierte Diskriminierung und Gewalt kann auch bei Studierenden psychische und physische Folgen haben. So kann sie zur Einschr?nkung der Studierf?higkeit, einer Verz?gerung des Studiums, einer Verschlechterung der Leistungen oder gar einem Studienabbruch führen.

Die Folgen von sexualisierter Diskriminierung und Gewalt k?nnen über Angst, Ekel und Scham bis hin zu Depression, Krankheit und Arbeitsunf?higkeit reichen.

Arbeitsplatz

Eine Studie des Bundesministeriums für Familie, Frauen, Senioren und Jugend (BMFSFJ) best?tigt, dass 65 % der berufst?tigen Frauen bereits sexualisierte Diskriminierung erlebt haben. Betroffen sind mehrheitlich Frauen, aber auch queere Menschen, trans* und inter* Personen sowie M?nner. Frauen, die aufgrund ihres Namens oder Aussehens als nichtdeutsch wahrgenommen werden, sind einem signifikant h?heren Risiko ausgesetzt, mit sexueller Bel?stigung am Arbeitsplatz konfrontiert zu sein.

Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes unterscheidet zwei Ursachen von sexualisierter Diskriminierung und Gewalt am Arbeitsplatz. Zum einen werden hierarchische Beziehungen ausgenutzt, um Macht zu demonstrieren. Zum anderen aber ist es ein Mittel, mit dem Konkurrenz ausgeschaltet oder die Autorit?t einer vorgesetzten Person untergraben werden soll. Die Folgen von sexualisierter Diskriminierung und Gewalt k?nnen über Angst, Ekel und Scham bis hin zu Depression, Krankheit und Arbeitsunf?higkeit reichen. Eine Schuldumkehr, beispielsweise durch die Unterstellung von Falschbeschuldigung oder Mitschuld, verschlimmert die Folgen für die:den Betroffene:n h?ufig.

zur Vergr??erungsansicht des Bildes: 17.–20. Mai 2021 Themenwoche gegen sexualisierte Diskriminierung und Gewalt
17.–20. Mai 2021 Themenwoche gegen sexualisierte Diskriminierung und Gewalt