Pressemitteilung 2022/178 vom

In Deutschland werden rund 10 Prozent aller Kinder vor der 37. Schwangerschaftswoche geboren und gelten damit als Frühgeborene. Viele dieser Frühchen brauchen aufgrund ihrer unterentwickelten Lunge Atemhilfe. Dabei zeigt sich jedoch im klinischen Alltag, dass gerade eine maschinelle Beatmung die Lunge irreversibel sch?digen kann, wobei die genauen Ursachen bisher nicht bekannt sind. In einer interdisziplin?ren Studie konnten Physiker:innen und Mediziner:innen der Universit?t Leipzig zeigen, dass ein erh?hter Druck auf das Lungengewebe wie bei einer maschinellen Beatmung die Gefahr birgt, das Gewebe bereits bei kleinen Luftmengen zu überdehnen und die Funktion der Zellen beim Gasaustausch zu st?ren. Ihre Studienergebnisse haben sie im Fachjournal ?Frontiers in Bioengineering and Biotechnology“ publiziert.

Bei der normalen Atmung senkt sich bei jedem Atemzug das Zwerchfell unter der Lunge. Dies führt zu einer Ausdehnung der Lunge im Brustkorb, w?hrend in der Lunge ein Unterdruck entsteht. Um diesen Unterdruck auszugleichen, str?mt automatisch Luft in die Lunge, und man atmet ein. Im Fall der mechanischen Beatmung wird über einen Tubus Luft in die Lunge gepumpt, und die Lunge dehnt sich aufgrund des erzeugten ?berdrucks aus. ?Wir gehen davon aus, dass dieser ?berdruck eine leichte Kompression des Lungengewebes verursacht, wohingegen bei der normalen Atmung an der Lunge von au?en ?gezogen‘ wird, um die Ausdehnung zu erzeugen“, erkl?rt Physikerin Prof. Dr. Mareike Zink, die gemeinsam mit ihrer Kollegin Dr. Mandy Laube vom Forschungslabor der Neonatologie der Medizinischen Fakult?t die interdisziplin?re Studie zur Physik der frühgeborenen Lunge durchgeführt hat.

?In unseren Experimenten haben wir fetales Lungengewebe unter Zug- und Druckspannung untersucht, um Unterschiede in der Gewebemechanik der frühgeborenen Lunge zu erforschen“, berichtet Mareike Zink. Die Experimente h?tten gezeigt, dass sich das Lungengewebe unter Zug, wie es bei der normalen Atmung vorkommt, vollkommen elastisch verformt. Unter Druck jedoch – wie es bei der mechanischen Beatmung auftritt – komme es zu einer viskoelastischen Deformation der Lunge. Das bedeute, dass das Gewebe zwar nach der Deformation in den Ausgangszustand zurückgeht. Auf molekularer Ebene gibt es dennoch bereits strukturelle ?nderungen, die auf eine irreversible Gewebesch?digung hindeuten.

?Weiterhin zeigen unsere Ergebnisse, dass die Funktion der Lungenzellen unter Druck gest?rt ist. Bereits kleine Drücke, wie sie bei der mechanischen Beatmung üblich sind, k?nnen dafür sorgen, dass Struktureinheiten an der Zelloberfl?che, die zum Beispiel beim Transport von Molekülen und Wasser wichtig sind, ihre Funktion nicht mehr ausüben“, erkl?rt Mandy Laube.

Das Fazit der beiden Wissenschaftlerinnen: Mechanische Beatmung ist für einige Frühgeborene die einzige Therapie, um das ?berleben zu sichern. Dennoch besteht die Gefahr m?glicher Folgesch?den aufgrund der ver?nderten mechanischen Eigenschaften der frühgeborenen Lungen im Vergleich zum Erwachsenen. So sollten zukünftige therapeutische Strategien den Einfluss von physikalischen Kr?ften auf Gewebe und Zellen berücksichtigen und Druckerh?hungen in der Lunge m?glichst geringhalten, um das Risiko von Sch?den zu minimieren. ?Da auch bei beatmeten Covid-19 Patient:innen beobachtet wurde, dass die maschinelle Beatmung weitere Lungensch?den zur Folge haben k?nnte, postulieren wir, dass auch hier die gesch?digte Lunge durch den ?berdruck leichter überdehnt werden kann und Lungenzellen unter erh?htem Druck schneller die Funktion einstellen oder ver?ndern“, so das Resümee von Mareike Zink.

Publikation in ?Frontiers in Bioengineering and Biotechnology“:
"Mechanical properties of the premature lung: from tissue deformation under load to mechanosensitivity of alveolar cells.” Frontiers in Bioengineering and Biotechnology", doi.org/10.3389/fbioe.2022.964318