Pressemitteilung 2023/167 vom

Der ?bersetzer- und Dolmetscherberuf in Zeiten künstlicher Intelligenz: Warum KI keine Gefahr darstellt und was stattdessen die gr??te Herausforderung für das Berufsfeld ist. Darüber spricht Oliver Czulo, Professor für ?bersetzungswissenschaft an der Universit?t Leipzig, anl?sslich des Internationalen ?bersetzertages am 30. September 2023. Er erkl?rt, dass maschinelle ?bersetzungen schon seit mehreren Jahrzehnten Teil des Berufs sind und dass die Entwicklung von KI neue Berufsfelder in der Translation schafft.

Ist KI im Studium des ?bersetzens oder Dolmetschens ein Thema?

Gro?e Sprachmodelle, aus Marketinggründen ?KI“ genannt, sind nur eines der digitalen Themen im Studium der so genannten Translation, dem ?berbegriff fürs ?bersetzen und Dolmetschen. Mit der KI setzen sich unsere Studierenden auseinander und lernen, sie für translatorische und translatologische Zwecke anzuwenden. Digitalisierung ist in der Translation aber schon lange kein Fremdwort mehr. Die Idee einer Translationsmaschine ist nachweislich schon Jahrhunderte alt, die moderne Forschung dazu hatte Ans?tze bereits vor dem Zweiten Weltkrieg, danach gewann sie schnell an Fahrt und erste Anwendungen wurden gefunden. Die Europ?ische Union beispielsweise setzt maschinelle Vorübersetzung seit Mitte der 1970er Jahre ein, mit Vorl?ufern noch in der Zeit der Europ?ischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl. In der vollen Breite wurde der ?bersetzungsarbeitsplatz ab etwa den 2000ern digitalisiert, im Rahmen der Pandemie wurde das Ferndolmetschen sehr beliebt. Wer heute ein Translationsstudium aufnehmen will, darf keine Scheu haben, in gr??eren Datens?tzen auch komplexere Recherchen anzustellen, mit digitalen ?bersetzungs- oder Dolmetschhilfsmitteln zu arbeiten und auch im digitalen Raum situationsgewandt zu kommunizieren. All die digitalen Werkzeuge sind aber nur Unterstützung für eine nach wie vor zutiefst menschliche, kulturelle und kontextbezogene T?tigkeit.

Sehen Sie die Entwicklung von KI im Bereich der Translation als Risiko oder Chance für die Translationsberufe? 

KI birgt, das wissen wir bereits seit l?ngerem, Chancen wie Risiken. Eine der gro?en Chancen ist, dass die Translation durch die Maschine in Bereiche vorgedrungen ist, in denen sie bisher so nicht stattgefunden hat. Im Alltag helfen zunehmend Apps, aber auch im digitalen Raum wird inzwischen sehr viel, und oft mit maschineller Unterstützung, mehrsprachig kommuniziert. In Bereichen wie der audiovisuellen Translation, Untertitelung, Voice Over, Drehbuchübersetzung etc., l?sst sich eine ansteigende Nachfrage verzeichnen. Maschinelle Vorübersetzung kann abhelfen, aber meist merken auch Laiennutzende, dass oft eine Qualit?tslücke verbleibt oder die Maschine für bestimmte Eins?tze nicht geeignet ist. In den verschiedenen Bereichen der Migration – Flucht, Bildung, Wirtschaft etc. – wird Maschinelle Translation ebenfalls eingesetzt. Wo es um einfache Informationen geht, ist das sicher sinnvoll, aber in Risiko- und Hochrisikokontexten wie beim Arzt oder der Beh?rde darf die Maschine nicht ungeprüft arbeiten. Es sind schon einige Asylverfahren geplatzt oder mussten neu aufgerollt werden, weil sich zu naiv auf die Maschine verlassen wurde. Wer dann drauf kommt, dass die eigene Organisation professionelle Translationsprozesse braucht, begegnet heute den zahlreichen neuen Berufsprofilen wie dem Translationsmanagement, dem Translation Engineering oder ?hnlichem.

Mit dieser digitalen Durchdringung kommt das Risiko, dass bei Menschen der Eindruck entsteht, die Probleme der Translation seien gel?st. Tats?chlich sind Maschinen für einfache Einsatzszenarien schon ganz gut, wo es gute Trainingsdaten gibt, also für die ressourcenreichen Sprachen wie Englisch oder Deutsch und für h?ufig nachgefragte Themen. Hiermit ergibt sich aber ein gro?es Risiko: Unter der polierten Sprachoberfl?che der maschinellen Ausgabe lauert nicht selten Morsches, etwa rassistische oder sexistische Sprache aufgrund der zugeführten Trainingsdaten, ein gestanzter Stil durch Einengung auf bestimmte sprachliche L?sungen oder plausibel wirkende Texte, die inhaltlich h?chst fragwürdig sind. Letzteres ist unter dem Stichwort ?Halluzination“ bekannt und wird auf l?ngere Sicht noch ein Problem bleiben. Au?erdem hat die KI kein Verst?ndnis davon, was ein Text ist: ?bersetzt sie l?ngere Texte, springt sie in Terminologie und Stil durchaus hin und her, was für viele Anwendungen inakzeptabel ist. Nicht zuletzt darf man nicht vergessen: Die KI ist so gut, weil die Trainingsdaten so gut sind, und diese werden von Menschen erzeugt. Sind nicht genug Trainingsdaten vorhanden, gibt es keine KI. Und eine bestehende KI, die mit maschinell produzierten Daten gefüttert wird, degradiert in der Qualit?t schnell, was man als den ?Rekursionsfluch“ bezeichnet.

Müssen sich Translator:innen um die Zukunft ihres Berufsfeldes sorgen? 

Nein. Es sind zwar einzelne Bereiche unter Druck geraten, aber tats?chlich herrscht insgesamt gesehen nicht erst seit gestern sogar ein Fachkr?ftemangel. Dies hat verschiedene Gründe. Ein Grund besteht in seit Jahren stetig sinkenden Studierendenzahlen, nicht nur aufgrund des demografischen Wandels. Ohne Sachkenntnis wurde in den letzten Jahren in Medien und Politik h?ufig das Bild einer Welt kolportiert, die nur noch Englisch spricht und in der Maschinen alles Sprachliche erledigen; entsprechende ?u?erungen des baden-württembergischen Ministerpr?sidenten Kretschmann in diesem Frühjahr sind dafür nur ein prominentes Beispiel. Beides ist falsch. Auf der Gegenseite, bei den Absolvent:innen, haben wir immer wieder die Situation, dass sie uns noch vor Abschluss beinahe, und in Einzelf?llen ganz, wegbrechen und Abschlussarbeiten schon aus einem Unternehmen, einer Organisation oder einer zunehmenden Selbst?ndigkeit geschrieben werden. Gerade wer sich neueren Themen ?ffnet oder sich traut, in unseren Breitengraden weniger übliche Sprachenkombinationen zu studieren, hat weiterhin gute und sehr gute Chancen. Dass Translation ein Thema im Kommen ist, zeigt sich au?erdem darin, dass in anderen L?ndern wie Norwegen, Spanien oder den USA neue Translationsstudieng?nge und -institute jüngst entstanden sind oder entstehen, w?hrend sie in Deutschland aus einem falschen Verst?ndnis heraus kleingeredet und bespart werden.
Au?erdem passiert in der Translation schon l?nger das, was auch in anderen früh digitalisierten Bereichen zu beobachten war und auf andere Bereiche noch zukommen wird: Die Digitalisierung schafft neue Berufsprofile, insgesamt steigt somit perspektivisch der Bedarf, da die Anwendungsbereiche der Translation mit Hilfe digitaler Mittel ausgeweitet werden. Ein reines Informatikstudium reicht für diesen Bereich nicht aus, denn es ist blind für die Bedingungen und Bedarfe der Translation. Die Translationsstudieng?nge bilden heute Expertenanwender:innen für digitale Werkzeuge aus, dazu gibt es au?erdem spezielle Studieng?nge für das Schnittfeld zwischen Informatik und Translation wie etwa in Saarbrücken. Mit den Digital Humanities in Leipzig haben wir eine F?cherkooperation und freuen uns immer über Studierende, die unsere Wahlmodule nutzen, um in die Translatologie hineinzuschnuppern.