Pressemitteilung 2024/034 vom

Eine Studie der Universit?t Leipzig hat am Fallbeispiel der Hohenzollern untersucht, wie Presseberichterstattung und Forschung durch gezielte Anwaltsstrategien beeinflusst oder behindert werden sollte. Dabei haben die Kommunikationswissenschaftler die Wirkung von Einschüchterungsversuchen durch strategische Klagen gegen kritische Berichterstattung, sogenannte SLAPP-Klagen, aus Sicht der Betroffenen nachvollzogen. Die Ergebnisse wurden in der führenden Fachzeitschrift "Publizistik" ver?ffentlicht.

SLAPP ist die Abkürzung für ?Strategic Lawsuits Against Public Participation“, also strategische Klagen gegen ?ffentliche Beteiligung. Dabei handelt es sich um rechtsmissbr?uchliche Klagen, die nur zu dem Zweck erhoben werden, kritische Berichterstattung, Forschung oder Aktivismus zu verhindern. Betroffen sind vor allem Menschen, die sich im Journalismus, Umwelt- und Menschenrechtsaktivismus oder in Kunst und Wissenschaft für die Zivilgesellschaft engagieren. Ihre ?ffentlich vorgebrachte Kritik soll durch kostenintensive und zermürbende Rechtsverteidigungen unterbunden werden. Die Abmahnungen oder Klagen werden üblicherweise von einflussreichen Einzelpersonen, Lobbygruppen, Unternehmen und staatlichen Organen angestrengt.

In letzter Zeit haben SLAPP-Klagen zugenommen. 2022 wurden in Europa rund 160 missbr?uchliche Klagen eingereicht, der h?chste je gemessene Jahreswert. Die Dunkelziffer ist vermutlich h?her, sagt Dr. Uwe Krüger vom Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaft der Universit?t Leipzig. ?Seit mehr als zehn Jahren nimmt die Verrechtlichung des Journalismus zu. So ist es etwa für Politmagazine im Fernsehen immer allt?glicher geworden, dass sie schon w?hrend ihrer Recherchen presserechtliche Warnschreiben von einschl?gig bekannten Anwaltskanzleien erhalten. Das ist zu einem Gesch?ftsmodell geworden und kein ausschlie?lich deutsches Ph?nomen.“

Strategisches Vorgehen, um ?ffentlichkeit zu verhindern

Im Zuge ihres Reputations- und Krisenmanagements sind die Hohenzollern in den vergangenen Jahren mit über 120 Klagen beziehungsweise Abmahnungen massiv juristisch gegen ?ffentliche ?u?erungen zur politischen Rolle der Familie beim Aufstieg des Nationalsozialismus vorgegangen. Adressaten waren Historiker:innen, Redaktionen und andere Beteiligte in der ?ffentlichen Berichterstattung.

Auch aus diesem Grund haben sich für die Leipziger Studie, die im Rahmen der Masterarbeiten von Connor Endt und Max Beuthner entstand, lediglich zehn Betroffene zu Interviews bereit erkl?rt. Sie sagten übereinstimmend, dass die rechtlichen Schritte der Hohenzollern-Familie sie zumindest zeitweise erheblich verunsichert und in ihrer Arbeit eigeschr?nkt h?tten, berichtet der ehemalige Journalismus-Student Endt. ?Zum einen durch die existenzbedrohende Kulisse, die mit dem finanziellen Risiko einherging, zum anderen durch die Bindung von Zeit und Kraft wegen der rechtlichen Auseinandersetzungen. Bei den befragten Journalisten führte das Vorgehen haupts?chlich zu einem defensiveren Sprachgebrauch, mitunter vermieden sie das Thema Hohenzollern ganz. Bei den Wissenschaftlern hatte es den Effekt, dass sie sich untereinander vernetzten, solidarisierten und weiter forschten, sich als Vorsichtsma?nahme aber seltener in den klassischen Medien ?u?erten. Auch uns gegenüber wogen sie ihre Worte sorgf?ltig ab.“

Die meisten der Befragten sahen das Vorgehen der Hohenzollern als ungerechtfertigt an, vor allem weil es bei den beanstandeten Aussagen nicht um den Kern der jeweiligen Sache gegangen sei, sondern nur um Nebens?chlichkeiten. Indizien, dass es sich bei dem Vorgehen um rechtsmissbr?uchliche SLAPP gehandelt hat.

?Auch die behindernde Wirkung auf zweiter Ebene ist nicht unerheblich. So ein Vorgehen kann die Redebereitschaft der Betroffenen sowie die Thematisierung der F?lle durch Beobachter in Forschung und Medienjournalismus beeintr?chtigen“, erg?nzt Dr. Uwe Krüger. Auch wenn es der Hohenzollern-Familie im konkreten Fall nicht gelungen sei, die Berichterstattung und Forschung v?llig zu unterbinden, so zeigten die Ergebnisse die Beeinflussung von Akteur:innen im Detail. Die Kommunikationswissenschaft spricht von Agenda Cutting (Unterbindung einer Debatte), wenn Medien ihrer Aufgabe, relevante Themen in angemessener Art und Weise für die ?ffentlichkeit aufzuarbeiten und publik zu machen, nicht oder nur eingeschr?nkt nachkommen.

Stand der Diskussion und Gesetzgebung

Seit geraumer Zeit w?chst das Bewusstsein rund um SLAPP. In der Europ?ischen Union ist gerade ein Trilog-Verfahren zwischen Kommission, Parlament und Ministerrat abgeschlossen. In den kommenden Monaten wird eine Anti-SLAPP-Richtlinie über Zivilsachen mit grenzüberschreitendem Bezug ver?ffentlicht. Die Mitgliedstaaten werden auch aufgefordert, nationale Gesetze für innerstaatliche F?lle zu erlassen. In Deutschland gibt es noch keinen nationalen Gesetzentwurf. ?Im Licht unserer Forschungsergebnisse erscheint es richtig und wichtig“, so Uwe Krüger, ?dass der Gesetzgeber sich jetzt darum kümmert, einen Schutz für Kritiker, Kontrolleure und Aufkl?rer in der demokratischen Gesellschaft einzuziehen.“

74 Organisationen der europ?ischen Zivilgesellschaft, darunter ?Reporter ohne Grenzen“ und das PATFox-Projekt, hatten die europ?ischen Institutionen dringend dazu aufgerufen, eine Anti-SLAPP-Richtlinie auszuhandeln, um wirksamen Schutz für Menschenrechtsaktivist:innen und investigative Journalist:innen zu gew?hrleisten. EU-weit ist das Thema als Bedrohung für die Demokratie erkannt worden und es findet grenzüberschreitende und fachübergreifende Zusammenarbeit statt, unter anderem zu m?glichen Verteidigungsstrategien. Ein Ziel ist, Gerichte, aber auch schon Jurastudierende frühzeitig zu sensibilisieren.

In der Wissenschaft ist Agenda-Cutting durch SLAPPs ein relativ neues Thema, mit bislang wenig Forschung und Begriffsarbeit. Deshalb sei die aktuelle Ver?ffentlichung aus Leipzig ein wichtiger Baustein, um diese voranzubringen, so das Forschungsteam.

 

Originaltitel der Publikation in ?Publizistik“:
?Agenda-Cutting durch SLAPPs? Die Klagen der Hohenzollern und ihre Wirkung auf die Presse- und Wissenschaftsfreiheit aus Sicht der betroffenen Journalisten und Forscher“; doi.org/10.1007/s11616-024-00833-y