Pressemitteilung 2022/088 vom

Wenn Gene mutieren, kann dies zu schweren Erkrankungen des menschlichen Nervensystems führen. Nun haben Wissenschaftler:innen der Universit?ten Leipzig und Würzburg an Fruchtfliegen nachgewiesen, wie die Mutation eines neuronalen Gens neben dem negativen auch für einen positiven Effekt, einen erh?hten Intelligenzquotienten beim Menschen, sorgen kann. Die Entdeckung haben sie in der renommierten Fachzeitschrift "Brain" ver?ffentlicht.

Synapsen sind die Kontaktstellen im Gehirn, über die Nervenzellen miteinander ?reden“. St?rungen dieser Kommunikation münden in Erkrankungen des Nervensystems, da dieser komplexe molekulare Mechanismus etwa durch ver?nderte synaptische Eiwei?e beeintr?chtigt sein kann. Daraus k?nnen milde Symptome, aber auch sehr starke Behinderungen bei den Betroffenen entstehen.

Das Interesse der beiden Neurobiologen Prof. Tobias Langenhan aus Leipzig und Prof. Manfred Heckmann aus Würzburg wurde geweckt, als sie in einer wissenschaftlichen Publikation über eine Mutation lasen, die ein synaptisches Eiwei? sch?digt. Zun?chst fielen die betroffenen Patient:innen auf, weil sie durch die Mutation erblindeten. Die behandelnden ?rzte merkten aber dann, dass die Erkrankten zus?tzlich überdurchschnittlich intelligent waren. ?Es ist sehr selten, dass eine Mutation zu einer Verbesserung statt zu einem Verlust an Funktionen führt“, sagt Langenhan, Professor und Lehrstuhlleiter am Rudolf-Sch?nheimer-Institut für Biochemie der Medizinischen Fakult?t.

Die beiden Neurobiologen aus Leipzig und Würzburg benutzen seit vielen Jahren Fruchtfliegen, um synaptische Funktionen zu analysieren. ?Unser Forschungsvorhaben war darauf angelegt, die Patientenmutation in das entsprechende Gen der Fliege einzufügen und mit Verfahren wie der Elektrophysiologie zu testen, was dann mit den Synapsen geschieht. Unsere Annahme: Die Mutation macht die Patient:innen deshalb so schlau, weil sie die Kommunikation zwischen den Nervenzellen, in die das verletzte Protein eingebunden ist, besser macht“, erkl?rt Langenhan. ?Natürlich kann man die Messungen an den Synapsen nicht in den Hirnen der Patient:innen vornehmen. Man muss dafür auf Tiermodelle zurückgreifen“.

?75 Prozent krankheitsverursachender menschlicher Gene gibt es auch in der Fruchtfliege“

Zun?chst zeigten die Wissenschaftler:innen gemeinsam mit Forscher:innen aus Oxford, dass das Fliegenprotein namens RIM molekular genauso aussieht, wie das des Menschen. Das war die Voraussetzung dafür, sich die Ver?nderungen im menschlichen Gehirn bei der Fliege anschauen zu k?nnen. Im n?chsten Schritt fügten die Neurobiologen Mutationen in das Fliegen-Genom ein, die genauso aussahen, wie bei den Erkrankten. Anschlie?end nahmen sie elektrophysiologische Messungen der Synapsenaktivit?t vor. ?Wir konnten tats?chlich beobachten, dass die Tiere mit der Mutation eine weitaus gesteigerte Informationsübertragung an den Synapsen zeigten. Dieser erstaunliche Effekt auf die Fliegensynapsen findet sich wahrscheinlich so oder ?hnlich auch bei den Patient:innen und k?nnte die gesteigerten kognitiven Leistungen, aber auch ihre Erblindung erkl?ren", schlussfolgert Prof. Langenhan.

Die Wissenschaftler:innen fanden au?erdem heraus, wie die gesteigerte ?bertragung an den Synapsen zustande kommt: Die molekularen Komponenten in der sendenden Nervenzelle, die die synaptischen Impulse ausl?sen, rücken durch den Mutationseffekt enger zusammen und führen zur vermehrten Ausschüttung von Neurotransmittern. Dafür wurde unter anderem eine neuartige Methode, die Superresolutions-Mikroskopie, genutzt. ?Das gibt uns ein Werkzeug an die Hand, mit dem wir einzelne Moleküle betrachten und sogar z?hlen k?nnen und best?tigt uns darin, dass die Moleküle in der feuernden Zelle n?her zusammenliegen als normalerweise“, sagt Prof. Langenhan, der bei der Studie auch von der Forschungsgruppe um Prof. Hartmut Schmidt aus dem Leipziger Carl-Ludwig-Institut unterstützt wurde.

?Das Projekt zeigt sehr sch?n, wie man mit einem au?ergew?hnlichen Modelltier wie der Fruchtfliege ein sehr tiefes Verst?ndnis von menschlichen Hirnerkrankungen erlangen kann. Die Tiere besitzen eine hohe genetische ?hnlichkeit mit dem Menschen. Man sch?tzt, dass 75 Prozent der krankheitsbetroffenen Gene des Menschen auch in der Fruchtfliege zu finden sind“, erkl?rt Prof. Langenhan und weist auf weitere Forschungen zu dem Thema an der Medizinischen Fakult?t hin: ?Wir haben mehrere gemeinsame Projekte mit Humangenetikern, Pathologen und dem Integrierten Forschungs- und Behandlungszentrum (IFB) AdipositasErkrankungen begonnen, die sich am Universit?tsklinikum mit Entwicklungsst?rungen des Gehirns, der Entstehung von b?sartigen Tumoren und Fettleibigkeit besch?ftigen. Wir werden auch hier krankmachende Mutationen in die Fruchtfliege einsetzen, um menschliche Erkrankungen nachzubilden und besser zu verstehen.“

Originaltitel in Brain: The human cognition-enhancing CORD7 mutation increases active zone number and synaptic release. https://doi.org/10.1093/brain/awac011