Pressemitteilung 2024/078 vom

Eine Lehrerin f?hrt zur Arbeit in einer Grundschule in Leipzig. Sie leitet eine dritte Klasse. Vor zwei Monaten hat sie aufgrund einer Klassenzusammenführung fünf neue Kinder in ihre Klasse bekommen. Sie ist noch nicht lange an der Schule t?tig, und die Situation mit den neuen Kindern hat sie anfangs überfordert. Eine Kollegin hat ihr daraufhin das Tool IAM empfohlen. In den vergangenen Wochen hat sie die neuen Kinder aufmerksam beobachtet und sich in das Tool IAM eingearbeitet. Nun fühlt sich die P?dagogin vor der Klasse sicherer und besser auf den Unterricht vorbereitet. IAM steht für Inclusive Assessment Map. Diese Internetseite wurde von verschiedenen Bildungseinrichtungen in ganz Europa – unter anderem auch von Erziehungswissenschaftler:innen der Universit?t Leipzig – in einem kürzlich abgeschlossenen, dreij?hrigen EU-Projekt entwickelt.

Projektverantwortliche an der Universit?t Leipzig war Prof. Dr. Saskia Schuppener vom Institut für F?rderp?dagogik. Gemeinsam mit ihrem Team hat sie das Tool in inklusiven Klassen einer Grund- und einer Oberschule in Leipzig sowie an einer F?rderschule in Halle getestet. Darüber hinaus wurde es auch von Studierenden angewendet und reflektiert. ?IAM ist ein Open-Access-Tool, das den Lehrkr?ften eine ?bersicht liefert, wie gut ihre Schüler:innen in verschiedenen Bereichen am Unterricht teilhaben k?nnen. Darüber hinaus bietet das Tool eine Art Checkliste mit Ver?nderungsvorschl?gen. Diese beziehen sich auf verschiedene Umfeld-Faktoren, um den Fokus auf das Defizit beim Kind zu überwinden“, erkl?rt Prof. Schuppener. Die P?dagog:innen konnten sich aus insgesamt elf Bereichen einen oder mehrere aussuchen, beispielsweise ?Mathematisches Lernen“ oder ?Bewegung und Mobilit?t“. Sie beantworteten Fragen, die erfassen, ob die Teilhabe in verschiedenen Faktoren des Bereichs erschwert ist. Am Ende erhielten sie eine ?bersicht und konnten anhand von Kreisdiagrammen sehen, wie gut die Klasse in den Teilbereichen am Unterricht teilnehmen konnte. Die Auswertung konnten sie sich auch für einzelne Schüler:innen anschauen.

Ver?nderte Sitzordnung oder verringerter Ger?uschpegel als L?sungsans?tze

Zus?tzlich wurden Tipps eingeblendet, wie die Situation verbessert werden kann. Ein Beispiel: Drei der fünf neu in die Leipziger Grundschulklasse hinzugekommenen Kindern fiel es laut Auswertung der IAM-Frageb?gen schwer, Kommunikationsger?te und -techniken zu nutzen. Einer der beigefügten Tipps lautete deshalb: ?Nutzen Sie die M?glichkeit der Gamification.“ Das bedeutet: In digitalen Spielen mussten sich die Lernenden an wechselseitigen Gespr?chen beteiligen, anderen Spieler:innen Befehle erteilen, Informationen mit ihnen teilen und Anfragen stellen. Welche Schüler:innen konnten sich schwer konzentrieren? Waren Unterrichtsmaterialien für alle verst?ndlich? IAM lieferte auch hierfür Tipps zur Verbesserung der Lernumgebung, wie etwa eine ver?nderte Sitzordnung, Vorschl?ge für einen verringerten Ger?uschpegel im Unterricht, die Verwendung von bestimmten Anschauungsmaterialien zur besseren Vermittlung oder das Unterteilen von Arbeitsauftr?gen, um die Schüler:innen nicht zu überfordern. Zus?tzlich wurden auch international bew?hrte Tipps und Literatur zu den einzelnen Bereichen bereitgestellt.

Lehrer:innen k?nnen IAM über viele Jahre hinweg anwenden und erhalten damit ein strukturiertes Feedback über die Entwicklung der eigenen Klasse und der einzelnen Schüler:innen. Die Daten sind auch eine gute Grundlage für Eltern- oder Schüler:innengespr?che. Lehrkr?ften wird IAM vor allem für die Anwendung im Kollegium empfohlen. Die Lehrerin der Leipziger Grundschule hat beispielsweise einen Fragebogen für die neuen Schüler:innen ihrer Klasse angelegt. So bekam sie einen guten ?berblick über deren Teilhabem?glichkeiten am Unterricht, auch im Vergleich zum Rest der Klasse. Zus?tzlich lieferte IAM ihr Ideen, wie sie die Kinder besser einbinden kann.

Tool auch in Lehramtsstudieng?nge integrieren

Das IAM-Tool orientiert sich an den Kategorien des ICF-CY – einer internationalen Klassifikation der Funktionsf?higkeit, Behinderung und Gesundheit bei Kindern und Jugendlichen. Vorteil des ICF-CY ist eine einheitliche Verst?ndigung über Entwicklungseinflüsse bei Kindern und Jugendlichen, so dass Lehrkr?fte, aber auch Logop?d:innen, Therapeut:innen, Schulbegleiter:innen und andere Personen sich gut über die Ergebnisse austauschen k?nnen. ?Wir sind an Schulen gegangen und haben mit den Lehrkr?ften vor Ort das Tool gemeinsam angewendet. Dabei konnten wir aufkommende Fragen beantworten. Die Lehrkr?fte haben das Tool dann ein halbes Jahr angewendet, um es zu testen. Um es  weiter verbessern zu k?nnen, wurden über den Zeitraum hinweg Frageb?gen beantwortet“, berichtet Projektmitarbeiterin Helene Hellmann von der Universit?t Leipzig. Wenn die Lehrer:innen Kritik hatten, haben die Leipziger Forscher:innen diese der Projektkoordination an der Bildungsdirektion Wien rückgemeldet, so dass noch ?nderungen am Tool vorgenommen werden konnten. 

?Da IAM ein EU-Projekt ist, waren auch weitere Bildungseinrichtungen aus anderen L?ndern beteiligt: neben der Bildungsdirektion Wien auch die Universit?t Wien, die School of Education Porto in Portugal, das Centre for Special Education Eupen in Belgien, die Universit?t J?nk?ping in Schweden und The Arctic University in Norwegen“, sagt Hellmann. Das Team um Saskia Schuppener hat zudem ein Ethikkonzept für das Projekt entwickelt. Dabei ging es unter anderem um die Frage, welche ethisch-reflexive Grundhaltung hinter dem Instrument stehen muss. Alle Projektbeteiligten in den verschiedenen L?ndern arbeiten nun daran, das Tool an weiteren Schulen vorzustellen und es in Konferenzen und mit Publikationen der Fachwelt n?herzubringen. An der Universit?t Leipzig soll es auch in die Ausbildung künftiger Lehrer:innen integriert werden.