Pressemitteilung I2022/001 vom

Im Mittel 30 Prozent aller Arten weltweit sind in den letzten 500 Jahren vom Aussterben bedroht oder bereits ausgestorben. Dies ergaben Sch?tzungen von 3331 Expert:innen, die sich mit der biologischen Vielfalt in 187 L?ndern besch?ftigen. Diese gro?e und diverse Expert:innengruppe wurde im Rahmen einer Umfrage, geleitet von Forschenden der Universit?t Minnesota und unter Beteiligung von iDiv und der Universit?t Leipzig, gebeten, Einsch?tzungen zum Wandel der von ihnen beforschten Arten zu geben. Die Ergebnisse sollen Wissenslücken bestehender wissenschaftlicher Bewertungen der globalen Biodiversit?t verringern und so die Wissensbasis für politische Entscheidungen verbessern. Die Studie wurde in der Zeitschrift "Frontiers in Ecology and the Environment" ver?ffentlicht.

?Unser Ziel war es, bestehende Biodiversit?tsassessments um wissenschaftlich wenig beachtete aber hochrelevante Artengruppen und Weltregionen zu bereichern“, sagt Erstautor Prof. Forest Isbell von der Universit?t Minnesota. Denn die wissenschaftliche Literatur zur biologischen Vielfalt konzentriert sich meist nur auf einige gut untersuchte Regionen oder Artengruppen. So hat die Weltnaturschutzunion (IUCN), die eine der wichtigsten Datenquellen für globale Biodiversit?tsbewertungen darstellt, nur etwa ein Prozent der gesch?tzten Zahl der vom Aussterben bedrohten Arten erfasst. Nur 0,2 Prozent aller Insekten, die immerhin drei Viertel aller Tier- und Pflanzenarten ausmachen, werden von der IUCN einbezogen. 

Auf dieser Wissensbasis sch?tzte der Globale Bericht des Weltbiodiversit?tsrats (IPBES) im Jahr 2018 beispielsweise, dass etwa 10 Prozent der Insektenarten vom Aussterben bedroht sein k?nnten, wobei er sich weitgehend auf Sch?tzungen aus Europa stützte. Die neue Umfrage, die auch Hunderte von Insektenexpert:innen aus der ganzen Welt einbezieht, kommt hingegen zu einem gemittelten Anteil von 30 Prozent. ?Dieser erhebliche Unterschied ergibt sich vor allem durch die Sch?tzungen für die am st?rksten diversifizierten und am wenigsten untersuchten Arten“, sagt Isbell. Allerdings gehen die Sch?tzungen der befragten Expert:innen sehr weit auseinander. Die 30 Prozent bedrohter Arten sind ein gemittelter Wert aus Sch?tzungen zwischen 16 und 50 Prozent. ?Auch wenn bei der begrenzten Informationslage noch nicht klar ist, welche Zahlen n?her am wahren Wert liegen: Es wird deutlich, dass wir für ein vollst?ndiges Bild der Lage die Meinung von Experten und Expertinnen für alle Artengruppe in jeder Region der Welt einholen müssen“, sagt Isbell. 

Experten, die sich mit Sü?wasser?kosystemen, Amphibien, S?ugetieren und Sü?wasserpflanzen besch?ftigen, sch?tzten den Verlust der biologischen Vielfalt am h?chsten ein. Der gr??te Artenverlust bzw. die gr??te Bedrohung für Arten betrifft der Befragung zufolge tropische und subtropische Lebensr?ume wie Flüsse, Feuchtgebiete und W?lder.

?Mit unserer Studie wollten wir in der globalen Literatur unterrepr?sentierten Expertinnen und Experten, die zu weniger bekannten Arten forschen, etwa aus dem globalen Süden, und vor allem Frauen eine Stimme geben“, sagt Mitautorin Patricia Balvanera von der Universit?t von Mexiko. Denn erfahrungsgem?? sch?tzten diese den Verlust der biologischen Vielfalt und dessen Auswirkungen deutlich gravierender ein. ?Expertinnen untersuchen au?erdem überproportional h?ufig genau jene Artgruppen, die als am st?rksten bedroht gelten“. Die Studie macht zudem bedeutende demografische und geografische Unterschiede in den Perspektiven und Einsch?tzungen der Expert:innen deutlich.

Die Autor:innen ermutigen Biodiversit?tsforschende weltweit, diese Ergebnisse zu nutzen, um ihre eigene Perspektive mit weiteren zu vergleichen. Bei der Festlegung globaler Ziele zur Erhaltung der biologischen Vielfalt und bei der Ausarbeitung neuer politischer Ma?nahmen müssten so viele Perspektiven wie m?glich berücksichtigt werden.

?Die biologische Vielfalt h?ngt in hohem Ma?e von regionalen Bedingungen ab. Unser Ansatz, die Meinungen regionaler Expertinnen und Experten aus der ganzen Welt zusammenzubringen, ist bislang einzigartig“, sagt Mitautor Akira Mori von der Universit?t Tokio. ?Ich glaube, dass wir in puncto soziale und kulturelle Vielfalt und Einbindung, auch wenn diese nicht vollst?ndig ist, einige Vorschl?ge für künftige internationale Politikdebatten vorgelegt haben.“

Die Expert:innen kommen zu dem Schluss, dass eine deutliche Erh?hung der Investitionen und Bemühungen beim Artenschutz bis zum Jahr 2100 eine von drei bedrohten oder ausgestorbenen Arten vor dem Aussterben bewahren k?nnten. ?Es müssen jedoch geeignete Schutzkonzepte entwickelt werden, die auf ein breiteres Spektrum von Organismen abzielen, um die Krise der biologischen Vielfalt zu bek?mpfen“, sagt Mitautor Nico Eisenhauer, Professor bei iDiv und an der Universit?t Leipzig. ?Jüngste Studien deuten beispielsweise darauf hin, dass mehrere aktuelle Naturschutzprogramme m?glicherweise keine positiven Auswirkungen auf die biologische Vielfalt im Boden haben. Diese umfasst immerhin etwa ein Viertel aller Arten auf der Erde. Wir müssen dringend wissenschaftliche Fortschritte erzielen, um wirksamere Schutzma?nahmen vorschlagen zu k?nnen“.

Titel der Originalpublikation in Frontiers in Ecology and the Environment:
Expert perspectives on global biodiversity loss and its drivers and impacts on people, doi: 10.1002/fee.2536

Diese Pressemitteilung basiert auf einer Medienmitteilung der Universit?t Minnesota