Pressemitteilung 2022/085 vom

Der menschliche K?rper besteht aus Billionen Zellen, die st?ndig miteinander kommunizieren. Eine zentrale Rolle in diesem Kommunikationsprozess spielen Empf?nger-Proteine an der Zelloberfl?che, sogenannte Rezeptoren. Sie werden besonders h?ufig als Zielstrukturen für Medikamente genutzt und daher intensiv erforscht. Oft gibt es ganze Familien von Rezeptoren. Sowohl die Signal-Botenstoffe als auch die Rezeptoren untereinander sind sehr ?hnlich, sodass nicht klar ist, wie die Signale auf molekularer Ebene voneinander unterschieden werden. Nun ist es Wissenschaftler:innen des Sonderforschungsbereichs 1423 der Universit?t Leipzig, dem Hangzhou Institute for Advanced Study und der Chinese Academy of Sciences in Shanghai in einem gemeinsamen Forschungsprojekt gelungen, für die Neuropeptid Y (NPY)-Rezeptorfamilie hochaufl?sende Strukturen für gleich drei verwandte, im K?rper natürlicherweise vorkommende Signalkomplexe zu gewinnen und so die kleinen, aber essenziellen Unterschiede zu beleuchten. Die Forscher:innen haben ihre neuen Erkenntnisse jetzt im renommierten Fachjournal ?Science Advances“ ver?ffentlicht.

Die NPY-Familie besteht aus insgesamt drei verwandten Peptidliganden: NPY, PP und PYY, die unterschiedliche Funktionen im K?rper haben. Diese wirken als Botenstoffe sowohl lokal im Gewebe, vor allem im Gehirn, als auch über die Blutbahn. Sie binden an vier verschiedene Rezeptoren (Y1R, Y2R, Y4R und Y5R), wobei verschiedene Kombinationen von Peptidligand und Rezeptor in verschiedenen Situationen auftreten: W?hrend NPY in Verbindung mit Y1R im Gehirn Hunger signalisiert, vermittelt PP, gebunden an Y4R, ein starkes S?ttigungssignal. Auch für moderne Krebstherapien sind NPY-Rezeptoren interessant. Eine hohe Zahl an Y1R ist charakteristisch für Brustkrebs-Zellen, dadurch k?nnten selektiv nur an diesen Rezeptor bindende NPY-Varianten genutzt werden, um Wirkstoffe gezielt in diese Zellen zu transportieren. In gesundem Brustgewebe kommt hingegen vor allem der Rezeptor Y2R vor. Dieser sollte ?umgangen“ werden, um das gesunde Gewebe zu schonen. 

Für die Entwicklung gezielter Wirkstoffe ist es daher von gro?er Bedeutung, den molekularen Bauplan dieser Komplexe und die dahinterliegenden Regulationsmechanismen zu kennen. Neben den molekularen Strukturen, die von Prof. Qiang Zhao vom Hangzhou Institute for Advanced Study und Prof. Beili Wu von der Chinese Academy of Sciences mittels Kryo-Elektronenmikroskopie sichtbar gemacht wurden, haben Prof. Dr. Annette Beck-Sickinger und Dr. Anette Kaiser von der Universit?t Leipzig biochemische Studien durchgeführt, die die komplexen Bindungsmechanismen der Peptide an ihre Rezeptoren besser beleuchten und die Ergebnisse der Strukturuntersuchungen untermauern. Dabei konnten die relevanten Bereiche von Peptid und Rezeptor im Komplex gefunden werden.

Die Arbeitsgruppen forschen bereits seit über zehn Jahren gemeinsam in diesem Forschungsfeld, und die Ergebnisse bauen auf umfangreichen Vorarbeiten auf. Umso wertvoller ist diese nunmehr dritte gemeinsame Publikation der Arbeitsgruppen. Denn mithilfe eines neuartigen Testsystems zeigte sich, dass die Peptide unterschiedliche ?Andock-Wege verwenden“ und dies in der Zelle zu unterschiedlichen Signalen führen kann. Dabei spiel die Flexibilit?t, die Beweglichkeit der Komplexe in bestimmten Bereichen eine wichtige Rolle. Prof. Annette Beck-Sickinger sagt: ?Ein Teil der Flexibilit?t von Peptid und Rezeptor bleibt also auch im gebundenen Zustand erhalten. Welche Ursachen und Folgen das hat, wird nun in weitergehenden Studien im SFB 1423 weiter erforscht, ebenso wie die Frage, welche weiteren Faktoren noch Einfluss auf die Erkennung zwischen Peptiden und Rezeptoren haben.“

Die Untersuchung der NPY-Rezeptorfamilie mit ihrer k?rpereigenen Liganden sowie weiterer klinisch relevanter Verbindungen ist ein Schwerpunkt des an der Universit?t Leipzig koordinierten Sonderforschungsbereichs 1423. Er ist eine von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gef?rderte vierj?hrige Forschungseinrichtung, an der vier F?rdereinrichtungen beteiligt sind: Universit?t Leipzig, die Martin-Luther-Universit?t Halle-Wittenberg, die Charité - Universit?tsmedizin Berlin und das Max-Delbrück-Zentrum für Molekulare Medizin in Berlin. Forschende aus biochemischen, biomedizinischen und computerwissenschaftlichen Kontexten arbeiten über die Grenzen ihrer jeweiligen Institutionen und Disziplinen hinweg zusammen, um ein umfassendes Verst?ndnis der Auswirkungen der Strukturdynamik auf die Funktion des GPCR zu erhalten. Die neuesten Erkenntnisse und Ans?tze der GPCR-Forschung werden auch auf der internationalen Konferenz 4GPCRnet ?22 vorgestellt, deren Mitorganisator der SFB1423 ist. Dieses hochrangige Treffen findet vom 26. bis 29. September 2022 auf dem Campus der Universit?t Leipzig am Augustusplatz statt. 

Originaltitel der Ver?ffentlichung in "Science Advances":

“Receptor-specific recognition of NPY peptides revealed by structures of NPY receptors”, DOI: 10.1126/sciadv.abm1232