Pressemitteilung 2022/022 vom

Durch das eiszeitliche Nordeuropa und -amerika streiften einst Riesens?uger wie Mammuts, S?belzahnkatzen und Wollnash?rner. Auch in den kalten Ozeanen der n?rdlichen Hemisph?ren lebten Giganten wie die bis zu acht Meter lange und zehn Tonnen schwere Stellersche Seekuh, die bereits vor rund 250 Jahren ausgestorben ist. Jetzt ist es einem internationalen Forschungsteam gelungen, aus fossilen Knochen das Genom dieser eiszeitlichen Spezies zu l?sen. Sie fanden dabei auch eine Antwort auf die Frage, was das Genom der ausgestorbenen Seekuhart über heutige Hauterkrankungen verr?t.

Die gigantische Seekuh aus der Eiszeit wurde im Jahr 1741 von Georg Wilhelm Steller entdeckt und sp?ter nach ihm benannt. Den Naturforscher des 18. Jahrhunderts interessierte neben der enormen K?rpergr??e dieser Tierart auch ihre besondere, rindenartige Haut. Er beschrieb sie als ?eine so dicke Haut, die der Rinde von alten Eichen ?hnlicher w?re, als einer Thierhaut.“ Diese borkige Struktur der Oberhaut ist bei artverwandten Seekühen, die heutzutage ausschlie?lich in tropischen Gew?ssern leben, nicht vorhanden. In wissenschaftlichen Kreisen ging man bislang davon aus, dass die borkige Oberhaut durch Parasitenfra? entstand, aber auch W?rme isolieren und damit die eiszeitliche Seekuh gut vor K?lte und vor Verletzungen im Eismeer schützen konnte. In der aktuellen Studie belegen die Wissenschaftler:innen unter Leitung von Dr. Diana Le Duc und Prof. Torsten Sch?neberg von der Universit?t Leipzig, Prof. Michael Hofreiter von der Universit?t Potsdam und Prof. Beth Shapiro von der University of California, USA, dass die Pal?ogenome von Stellerschen Seekühen funktionelle Ver?nderungen offenbaren. Diese sind wiederum für die rindenartige Haut und die Anpassung an K?lte verantwortlich. 

Um das herauszufinden, hat ein internationales Forschungsteam aus Deutschland und den USA aus fossilen Knochenresten von insgesamt zw?lf verschiedenen Individuen das Genom dieser ausgestorbenen Spezies rekonstruiert. ?Das spektakul?rste Resultat unserer Untersuchungen ist die Kl?rung der Ursache für die borkige Haut des Meeresgiganten“, resümiert Diana Le Duc vom Institut für Humangenetik der Universit?tsmedizin Leipzig. Die Wissenschaftler:innen fanden im Seekuh-Genom Inaktivierungen von Genen, die für den normalen Aufbau der ?u?eren Hornhautschicht notwendig sind. Diese Gene werden auch in der menschlichen Haut genutzt. ?Erbliche Defekte dieser sogenannten Lipoxygenase-Gene führen beim Menschen zur sogenannten Ichthyosis. Das ist eine Verdickung und Verhornungsst?rung der obersten Hautschicht mit gro?en Hautschuppen, manchmal auch ?Fischschuppen-Krankheit‘ genannt“, so Sch?neberg vom Rudolph-Sch?nheimer-Institut für Biochemie. ?Damit sch?rfen die Ergebnisse unserer Forschung auch den Blick auf dieses Krankheitsbild“, erkl?rt der Biochemiker und erg?nzt: ?Hierin kann der Schlüssel für neue Therapieans?tze liegen.“

Die Wissenschaftler:innen kamen dem Gendefekt auf die Spur, in dem sie das Genom mit dem des n?chsten Verwandten, der Seekuh Dugong, miteinander verglichen. Bei ihren Untersuchungen wurden die Forschenden durch das Max-Planck-Institut für Evolution?re Anthropologie Leipzig unterstützt, die ihre bioinformatische Expertise in der Analyse von alter DNA einbrachten. Folglich identifizierten sie wichtige Hinweise auf genetische Ver?nderungen, die zur Anpassung an den kühlen Lebensraum des Nordpazifiks beigetragen haben k?nnen. ?Dies ist ein eindrucksvolles Beispiel dafür, dass Gen-Defekte nicht nur einen Krankheitswert, sondern in Abh?ngigkeit vom Lebensraum auch Vorteile haben k?nnen“, so Hofreiter von der Universit?t Potsdam. Weiterhin konnte aus den Genomdaten eine dramatische Reduktion der Populationsgr??e geschlossen werden. Diese begann schon 500.000 Jahre vor der Entdeckung dieser Art und k?nnte zum Aussterben beigetragen haben. ?Mit unserer Studie schlie?t sich der Kreis einer exakten Beobachtung eines deutschen Naturforschers im frühen 18. Jahrhundert mit der molekulargenetischen Kl?rung von heute“, resümiert Hofreiter. 

Die Studienergebnisse sind im Fachmagazin Science Advances ver?ffentlicht unter dem Titel: 

"Genomic basis for skin phenotype and cold adaptation in the extinct Steller's sea cow", doi.org/10.1126/sciadv.abl6496.

Hintergrund:

Georg Wilhelm Steller (1709-1746) studierte Medizin und Naturwissenschaften in Leipzig, Jena und Halle und nahm an der legend?ren Expeditionsfahrt des d?nischen Kapit?ns Vitus Bering nach Alaska 1741 teil. Bering, nach dem die heutige Beringstra?e benannt wurde, und ein gro?er Teil der Schiffsmannschaft verstarben bei dieser Expedition. Steller überlebte und war der erste und einzige Forscher, der jemals eine dieser gigantischen lebenden Seekühe sah und wissenschaftlich beschrieb. Die heute lebenden verwandten Seekühe (Sirenen) – Manatees und Dugongs – kommen ausschlie?lich in tropischen Gew?ssern vor. Sie werden maximal drei Meter lang und umfassen damit nicht einmal die H?lfte der K?rperl?nge ihrer eiszeitlichen Vorfahren. Von der einstigen Population der Stellerschen Seekuh von rund 100.000 Tieren im 18. Jahrhundert sind heutzutage nur noch Knochen an den Küsten von Inseln der Beringstra?e zu finden. Georg Steller beschrieb erstmals 1741 die eiszeitliche Seekuh. Das Standardwerk wurde von seinem Sekret?r auf Basis des Manuskripts und der wissenschaftlichen Auszeichnungen fertiggestellt. Es erschien 1753, einige Jahre nach Stellers Tod. Er verstarb auf der Rückreise von Ostsibirien nach St. Petersburg.