Pressemitteilung I2024/001 vom

Ein Forschungsteam unter Leitung des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversit?tsforschung (iDiv), der Universit?t Leipzig und des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) hat untersucht, mit welcher Motivation Landnutzer in Europa eine extensive Beweidung betreiben und welchen Herausforderungen sie gegenüberstehen. Die Ergebnisse der Befragungen wurden im Fachmagazin "Land Use Policy" ver?ffentlicht. Sie zeigen, dass flexiblere F?rderbedingungen zu einer Verbesserung beitragen k?nnten.

Die Beweidung durch Haus- und Wildtiere pr?gt Landschaften in ganz Europa. Sie tr?gt zu verschiedenen ?kosystemleistungen bei, etwa zur Bereitstellung von Lebensraum für zahlreiche Tier- und Pflanzenarten. Extensive Weidesysteme mit einer geringeren Dichte an Tieren und mit einer minimalen, gezielten Nutzung von Entwurmungsmitteln und anderen Behandlungen bieten lokal Vorteile für den Schutz der biologischen Vielfalt und für verschiedene ?kosystemleistungen.

Doch angesichts der Herausforderungen, die diese Form der Bewirtschaftung birgt, nimmt die Zahl der Landnutzer, die eine extensive Beweidung betreiben, st?ndig ab. Ein Forschungsteam unter der Leitung von iDiv, UL und UFZ hat genau diese Herausforderungen und m?gliche Interventionen in acht europ?ischen Fallstudien untersucht. Zwischen 2019 und 2021 interviewten sie 74 Landwirt:innen, Landeigentümer:innen, Viehhalter:innen und Manager:innen eines Renaturierungsgebietes, das von Wildpferden und halbwilden Rindern beweidet wird.

Landnutzer:innen sind auf Subventionen angewiesen, aber Geld ist nicht alles

In den Interviews wollten die Forscher:innen mehr über die Beweggründe und Herausforderungen der Landnutzer:innen erfahren, die sich für eine extensive Beweidung einsetzen – und das, obwohl wirtschaftliche ?berlegungen immer wichtiger werden. Denn die Einnahmen durch die Bewirtschaftung der Fl?chen reichen nicht mehr aus, um die steigenden Kosten für Ausrüstung, Pacht und Steuern zu decken.

?Geld ist nicht alles. Viele der von uns befragten Landnutzer haben sich für diese Art des Weidemanagements entschieden, weil sie es für gut halten, und nicht aus einer wirtschaftlichen Motivation heraus“, sagt Erstautorin Dr. Julia Rouet-Leduc. Rouet-Leduc leitete das Projekt als Doktorandin bei iDiv und an der Universit?t Leipzig und forscht mittlerweile am Stockholm Resilience Centre. Die Sorge um die Natur sei für die Landnutzer ein durchaus wichtiger Aspekt, und in einigen F?llen auch der Wunsch, traditionelle landwirtschaftliche Praktiken beizubehalten.

Dies best?tigte auch ein Landnutzer, der in Galizien (Spanien) mit wilden Ponys arbeitet: ?Der Hauptgrund, weshalb dieses System überhaupt noch aufrechterhalten wird, ist, dass die Leute ... die Ponys lieben; sie haben das Pferdefieber, und die Tradition ist tief in ihren Herzen verankert.“

Die Forscher:innen fanden heraus, dass viele Landnutzer:innen mit Regeln und Vorschriften zu k?mpfen haben, die mit einem extensiven Weidemanagement unvereinbar scheinen. Als hinderlich empfunden wurden beispielsweise Vorschriften zur Kennzeichnung des Viehs – eine sehr schwierige Aufgabe, wenn die Tiere auf gro?en Fl?chen frei weiden dürfen. Nach Ansicht der Landnutzer:innen behinderten die geltenden politischen Ma?nahmen, insbesondere die Gemeinsame Agrarpolitik der Europ?ischen Kommission (GAP), naturnahe und nachhaltige Praktiken.

Ein Landnutzer in Rum?nien beschrieb, dass die Landwirt:innen alle Str?ucher von ihren Weiden entfernen müssten, da sie sonst keine Subventionen erhielten oder ihnen sogar Bu?gelder auferlegt wurden. Diese Str?ucher erfüllen jedoch innerhalb des ?kosystems wichtige Funktionen, indem sie beispielsweise im Sommer Schatten spenden und im Winter für das Vieh eine zus?tzliche Nahrungsquelle darstellen. Im Allgemeinen wurde die GAP als zu restriktiv empfunden, und viele Landnutzer:innen beantragten lieber gar keine Subventionen. ?Indem wir keine Beihilfen beantragen, k?nnen wir wirklich frei entscheiden, was für das lokale ?kosystem am besten ist“, erkl?rte ein belgischer Landnutzer.

Landflucht gef?hrdet traditionelle Jobs

Die Interviews zeigten auch, dass viele Landnutzer:innen mit den sozio?konomischen Ver?nderungen auf dem Land zu k?mpfen haben. Die Landflucht führt zu einem Mangel an Arbeitskr?ften, w?hrend k?rperliche Arbeit nach wie vor unersetzbar ist, insbesondere bei der Arbeit mit Rindern und Pferden. ?Die n?chste Generation will nicht in der Landwirtschaft arbeiten, weil es zu hart ist, zu viel Arbeit“, sagte ein Landnutzer aus Litauen. ?Sie wandern lieber aus und suchen sich einen Job, der weniger anstrengend ist.“

?Die GAP k?nnte Landwirtschaftsfl?chen mit hohem Naturwert st?rken und Anreize für Landwirte schaffen, um extensive Weidesysteme zu erhalten oder wiederherzustellen“, meint Seniorautor Dr. Guy Pe’er, der am UFZ und bei iDiv forscht. ?Es liegt nicht daran, dass kein Budget da ist. Sondern eher am mangelnden Ehrgeiz, eine nachhaltige Landwirtschaft zu unterstützen.“

Mehr Flexibilit?t und besserer Zugang zu M?rkten

Auf Basis der Interviews leitete das Forschungsteam m?gliche Ma?nahmen zur F?rderung extensiver Beweidungspraktiken ab. ?Was wir brauchen, ist mehr Flexibilit?t für die Landnutzer“, findet Rouet-Leduc. ?Die derzeitige Politik f?rdert solche Praktiken gr??tenteils nicht und bietet vor allem keine gleichen Wettbewerbsbedingungen.“ Die GAP der EU biete zwar wichtige wirtschaftliche Unterstützung, f?rdere aber mit problematischen Anforderungen auch eine kontraproduktive Bewirtschaftung. Zus?tzliche finanzielle Anreize k?nnten die Unterstützung für ein extensives Weidemanagement verbessern, so die Autoren der Studie. Vor allem in Gebieten, in denen Land aufgegeben wurde, b?ten sich viele M?glichkeiten für ein Rewilding mit gro?en Pflanzenfressern, die verschiedene ?kosystemleistungen erbringen. Aber auch das sei ohne Flexibilit?t nicht m?glich, denn die Unterschiede zur Bewirtschaftung mit domestizierten Tieren seien erheblich.

Die Wissenschaftler:innen empfehlen au?erdem eine bessere Kennzeichnung und Zertifizierung von umweltfreundlicher Beweidung, um die ?ffentliche Unterstützung zu erh?hen und die Entwicklung von M?rkten für solche Produkte zu f?rdern. Einige der befragten Landnutzer:innen waren zudem der Ansicht, dass der Marktzugang durch die F?rderung der Direktvermarktung verbessert werden k?nnte, beispielsweise über Hofl?den.

?Es gibt definitiv echte Herausforderungen für die Landwirte, die nicht leicht zu bew?ltigen sind“, meint Pe’er mit Blick auf die anhaltenden Bauerndemonstrationen. ?Aber die Abschaffung von Umweltstandards wird den Landnutzern nicht helfen. Sie brauchen ein Paket aus Ma?nahmen, das eine ehrgeizige GAP-Reform umfasst, die Landwirte unterstützt, die nachhaltiger wirtschaften; ein Gesetz zur Wiederherstellung der Natur, um die Standards für gute Bewirtschaftung zu verbessern; und einen Rahmen für nachhaltige Lebensmittelsysteme, um die Marktoptionen für eine nachhaltige Landwirtschaft zu verbessern.“ 

 

Originalpublikation in Land Use Policy:
Exploring the motivation and challenges for land-users engaged in sustainable grazing in Europe. DOI: 10.1016/j.landusepol.2024.107146