Pressemitteilung 2023/224 vom

Pflanzen geben Duftstoffe ab, um zum Beispiel miteinander zu kommunizieren, Fressfeinde abzuwehren oder auf ver?nderte Umweltbedingungen zu reagieren. Ein interdisziplin?res Forschungsteam der Universit?t Leipzig, des Leibniz-Instituts für Troposph?renforschung (TROPOS) und des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversit?tsforschung (iDiv) hat in einer Studie untersucht, wie die Artenvielfalt den Aussto? dieser Stoffe beeinflusst. Erstmals konnte so gezeigt werden, dass artenreiche W?lder weniger von diesen Gasen in die Atmosph?re abgeben als Monokulturen. Bisher wurde angenommen, dass artenreiche W?lder mehr Emissionen abgeben. Diese Annahme konnte das Leipziger Team jetzt experimentell widerlegen. Ihre Untersuchung ist in der Fachzeitschrift ?Communications Earth & Environment“ erschienen.

 

Pflanzendüfte wirken bis in die Atmosph?re

Pflanzen produzieren eine Vielzahl organischer Verbindungen, um miteinander und mit ihrer Umwelt zu kommunizieren. Dabei handelt es sich um so genannte biogene flüchtige organische Verbindungen (BVOCs), wie zum Beispiel Terpene, die den Pflanzen ihren charakteristischen Duft geben und bei der Abwehr von Sch?dlingen helfen. Diese Stoffe wirken nicht nur als chemische Signale, sondern spielen auch eine Rolle bei der Regulation des Klimas, der Luftqualit?t und der Atmosph?renchemie. Denn aus diesen BVOCs, die die Pflanzen aussto?en, entstehen in der Luft biogene sekund?re organische Aerosole (BSOAs), also Partikel in der Atmosph?re. Diese Aerosole haben wiederum Auswirkungen auf die Luftqualit?t, die Wolkenbildung und auf das Klima.

MyDiv-Experiment: Messungen in Parzellen mit verschiedenen Baumarten

Doch wie ver?ndern sich Aussto? und Konzentration von Aerosolen in der Luft, wenn die Artenvielfalt abnimmt oder die Pflanzen durch Trockenheit in Stress geraten? Diesen Fragen ist das interdisziplin?re Team um die Wissenschaftler:innen Dr. Anvar Sanaei und Prof. Dr. Alexandra Weigelt von der Universit?t Leipzig sowie weitere Forscher:innen des TROPOS und des iDiv nachgegangen. Die passenden Daten haben die Wissenschaftler:innen auf der MyDiv-Versuchsfl?che für Baumvielfalt gewonnen. Auf der rund zwei Hektar gro?en Fl?che bei Bad Lauchst?dt in Sachsen-Anhalt wachsen auf 80 Parzellen 10 Baumarten in Monokulturen oder unterschiedlich artenreichen Mischungen zusammen. Für die Studie nahm das Team knapp zwei Wochen lang Luftproben aus zehn der 11x11 Meter gro?en Parzellen, auf denen vier Baumarten (Vogelbeere, Vogelkirsche, Gemeine Esche und Bergahorn) in unterschiedlichen Kombinationen wachsen.

Weniger Pflanzendüfte, weniger Risiken 

?Vor Ort haben wir BVOC- und BSOA-Verbindungen in zehn Parzellen mit unterschiedlicher Baumvielfalt gemessen. Unsere Ergebnisse zeigen, dass die Menge der BVOC in den meisten F?llen mit der Biodiversit?t abnimmt“, sagt Dr. Anvar Sanaei, Erstautor der Studie und Postdoktorand am Institut für Biologie der Universit?t Leipzig. Sch?tzungen gehen davon aus, dass sich die globalen BVOC-Emissionen aus der Vegetation durch den Klimawandel um etwa ein Drittel erh?hen werden. ?Damit sind gro?e Unsicherheiten verbunden: Aus diesen Vorl?ufergasen k?nnen sich Partikel bilden, die wiederum zu Wolkentropfen werden k?nnen. Ob die BVOCs dann am Ende die Atmosph?re eher kühlen oder eher erw?rmen, h?ngt von sehr vielen Faktoren ab und ist schwer vorherzusagen. Mehr Artenvielfalt und weniger BVOCs würden aber die Ver?nderungen in der Atmosph?re verringern und damit auch die Risiken des Klimawandels – einschlie?lich ver?nderten Niederschl?gen“, fügt Prof. Dr. Hartmut Herrmann vom TROPOS hinzu. Wie schwer es ist, diese komplexen Prozesse im Freiland zu untersuchen, zeigt der zweite Teil der Studie: Für biogene sekund?re organische Aerosole (BSOA) konnte das Team keine eindeutigen Zusammenh?nge feststellen, was unter anderem an den Einflüssen aus der Umgebung liegen k?nnte, denn die Umwandlung der BVOC-Gase in die BSOA-Partikel dauert eine gewisse Zeit. Mit knapp zwei Wochen war die Messkampagne au?erdem vergleichsweise kurz. Das Team will die Untersuchungen daher fortsetzen – auch weil viele Fragen noch offen sind.

Mehr Stress, mehr Pflanzendüfte?

Bisher wurde angenommen, dass artenreiche W?lder und Wiesen mehr gasf?rmige Stoffe an die Atmosph?re abgeben als artenarme. Als Ursache wurde vermutet, dass artenreiche Systeme mehr Biomasse produzieren, weil sie Ressourcen wie Licht, Wasser und N?hrstoffe effizienter nutzen k?nnen. Mehr Biomasse bedeutet dann auch mehr Blattoberfl?che, von denen die Gase abgegeben werden k?nnen. ?Unsere neuen Ergebnisse sprechen aber eher dafür, dass es daran liegen k?nnte, dass die Pflanzen in artenreichen W?ldern und Wiesen weniger Stress haben. Sie leiden unter weniger Fra?feinden, weniger Hitze oder Trockenheit als in Monokulturen. Aber das ist bisher nur eine Hypothese. Um besser zu verstehen, wie die Biodiversit?t die Atmosph?re beeinflusst, sind viele weitere Untersuchungen n?tig, bei denen wir uns das Mikroklima, den ober- und unterirdischen Stress für die Pflanzen und viele andere Faktoren genauer per Langzeitexperiment ansehen müssen“, erkl?rt Prof. Dr. Nico Eisenhauer vom iDiv.

Biologie + Klimaforschung + Chemie = Team Zukunft

Das Besondere an der Studie ist, dass verschiedene Disziplinen hier zusammengearbeitet haben und atmosph?rische und biologische Messungen kombiniert wurden. ?Nur mit dem Wissen aus Biologie, Klimaforschung und Atmosph?renchemie k?nnen wir entschlüsseln, wie die Emissionen von Pflanzen mit der Biodiversit?t und der Atmosph?re zusammenh?ngen. Unsere Studie unterstreicht die Notwendigkeit von Experimenten auf lokaler und regionaler Ebene sowie die Entwicklung von Modellen, um unser Verst?ndnis der Biosph?re-Atmosph?re-Wechselwirkungen zu verbessern“, sagt Studien-Letztautorin Prof. Dr. Alexandra Weigelt vom Institut für Biologie. Zudem sei es ein Paradebeispiel für das Forschungsvorhaben ?Breathing Nature“, für das die Universit?t im Mai eine Skizze im Rahmen der Exzellenzstrategie eingereicht hat. Denn über die F?cher- und Institutionsgrenzen hinweg k?nnten Antworten auf dr?ngende Fragen unserer Zeit gefunden werden.

Die Studie wurde gef?rdert durch das S?chsische Staatsministerium für Wissenschaft, Kultur und Tourismus, die Europ?ische Union, dem Europ?ischen Forschungsrat (ERC) im Rahmen des Forschungs- und Innovationsprogramms Horizon 2020 der Europ?ischen Union und die Deutsche Forschungsgemeinschaft.

Originalver?ffentlichung in Communications Earth & Environment:
Anvar Sanaei, Hartmut Herrmann, Loreen Alshaabi, Jan Beck, Olga Ferlian, Khanneh Wadinga Fomba, Sylvia Haferkorn, Manuela van Pinxteren, Johannes Quaas, Julius Quosh, René Rabe, Christian Wirth, Nico Eisenhauer & Alexandra Weigelt: Changes in biodiversity impact atmospheric chemistry and climate through plant volatiles and particles. Commun Earth Environ 4, 445 (2023). doi.org/10.1038/s43247-023-01113-9