Pressemitteilung 2024/122 vom

In einem Kooperationsprojekt zwischen der Veterin?rmedizinischen Fakult?t und dem Interdisziplin?ren Zentrum für Bioinformatik der Universit?t Leipzig wurden zum ersten Mal Ver?nderungen der Genexpression in Talgdrüsen r?umlich erfasst. Die Studie dokumentiert mit hoher Aufl?sung Ver?nderungen der Genexpression im Laufe der Talgsynthese und identifiziert neue Kandidaten für die Modulation der Talgproduktion. Ihre Ergebnisse haben die Forscher:innen im renommierten Journal of Biological Chemistry vorgestellt.

Talgdrüsen sind für die Aufrechterhaltung von Struktur und Funktion der Haut unentbehrlich. In einem Prozess, der als holokrine Sekretion bezeichnet wird, akkumulieren die Zellen in der Drüsenperipherie massiv Lipidmoleküle, werden in das Zentrum der Drüse verlagert und rei?en schlie?lich auf, wobei ein ?liges Sekret (Sebum) freigesetzt wird, das die Hautoberfl?che schützt und geschmeidig h?lt. Talg hat bei Menschen und den meisten S?ugetieren weitere wichtige, aber weitgehend unerforschte Funktionen, wie beispielsweise den Schutz vor UVB-induzierter Apoptose (Zelltod) oder einen Beitrag zur angeborenen Immunantwort der Haut. Die Talgproduktion kann den Energiestoffwechsel im gesamten K?rper beeinflussen. Eine Deregulierung der Talgdrüse ist entscheidend für die Entstehung von Akne und spielt auch bei anderen Hauterkrankungen, wie atopischer Dermatitis, einer chronischen und juckenden Entzündung der oberen Hautschichten, und Psoriasis, auch Schuppenflechte genannt, eine Rolle. Neuere Studien weisen auch darauf hin, dass die Talgproduktion wichtige immunmodulatorische Wirkungen haben und den Energiestoffwechsel des gesamten Organismus beeinflussen kann. Damit k?nnte die Modulation der Talgsekretion ein attraktives therapeutisches Ziel nicht nur für Hauterkrankungen, sondern auch für Infektions- und Stoffwechselerkrankungen sein.

?Ganz abgesehen von ihrer Bedeutung für die Hautgesundheit, stellen Talgdrüsen ein attraktives und zug?ngliches Modell dar, um grundlegende biologische Vorg?nge wie die Lipidsynthese, die Arbeitsweise von Stammzellen, oder die Entstehung von Tumoren besser zu verstehen“, erl?utert Prof. Dr. Marlon R. Schneider. Er leitet das Veterin?r-Physiologische Institut an der Universit?t Leipzig und hat die Studie initiiert und betreut. 

Die Ver?nderungen in der Genexpression der Sebozyten (Talgdrüsenzellen), die zur Talgproduktion führen, wurden jedoch noch nie im Detail untersucht. In der nun ver?ffentlichten Studie integrieren beide Arbeitsgruppen neuere Methoden, wie die r?umliche Untersuchung der Genexpression, Pseudozeitanalyse und funktionelle Anreicherung, um die progressive Entwicklung der Talgdrüsenzellen bis hin zur Zellaufl?sung zu kartieren. Ausgehend von vier Stadien der Zelldifferenzierung, die durch unüberwachtes Clustering generiert wurden, zeigen die Daten eine konsekutive Modulation zellul?rer Funktionen, die mit spezifischen Gensets assoziiert werden k?nnen, von der Zellproliferation und oxidativen Phosphorylierung über die Lipidsynthese bis hin zum Zelltod. Die Ergebnisse wurden durch den Vergleich mit bereits publizierten Talgdrüse-Transkriptomdaten validiert und durch die Auswertung der Proteinexpressionsmuster einer ausgew?hlten Untergruppe der Transkripte im ?ffentlich zug?nglichen Human Protein Atlas weiter untermauert. Die Studie wird zudem durch ein frei verfügbares und durchsuchbares Online-Tool erg?nzt.

PD Dr. Hans Binder, ehemaliger Gesch?ftsführer des Interdisziplin?ren Zentrums für Bioinformatik an der Universit?t Leipzig (IZBI), hebt die Bedeutung eines parallel entwickelten bioinformatischen Online-Tools hervor: ?Die Methode ist stark datenorientiert. Mit dem Tool k?nnen Forschende weltweit unsere Daten durchsuchen und unabh?ngig analysieren“.

Durch die Kombination verschiedener Methoden l?sst sich ein umfassendes und neues Verst?ndnis der Genexpressionsdynamik, die der Talgdrüsendifferenzierung zugrunde liegt, erhalten. Die Daten deuten auf eine kontinuierliche Entwicklung der Talgdrüsenzellen durch eine konsekutive Modulation zellul?rer Funktionen hin, die mit spezifischen Gensets in Verbindung gebracht werden k?nnen. Die Studie identifiziert neue Akteure in der Talgproduktion, liefert somit neue M?glichkeiten für die Modulation der Talgproduktion und zeigt zukünftige experimentelle Ans?tze von medizinischer Relevanz auf.

N?chstes Ziel: Hauterkrankungen und Tr?nen

Im n?chsten Schritt werden Genexpressionver?nderungen der Talgdrüse in Zusammenhang mit bestimmten Hauterkrankungen n?her charakterisiert. Insbesondere bei atopischer Dermatitis und Psoriasis, aber auch bei Talgdrüsentumoren. Für diese Untersuchungen soll die n?chste Entwicklungsstufe der Methode zur r?umlichen Transkriptomuntersuchung zum Einsatz kommen, bei der Ergebnisse auf Einzelzellebene m?glich sind. Dr. Maria Schmidt, Erstautorin der Studie, erl?utert die Bedeutung der Methode: ?Die r?umlich-aufgel?ste Genexpression wurde erst 2020 als ?Methode des Jahres‘ vom renommierten Wissenschaftsjournal Nature ausgezeichnet. Als Verbindung von Molekularbiologie und Mikroskopie ist sie stark datenorientiert und er?ffnet, in Kombination mit ausgefeilter Bioinformatik, neuartige Einblicke in die Organisation von Lebensprozessen in Raum und Zeit mit zellul?rer Aufl?sung.“

Neben den untersuchten Talgdrüsen der Haut erfüllen spezialisierte Talgdrüsen ganz bestimmte Funktionen im K?rper. So produziert die Meibom-Drüse am Rand der Augenlider eine ?lige Flüssigkeit, die die Lipidschicht (?Fettphase“) des Tr?nenfilms bildet. Diese sorgt dafür, dass die Tr?nenflüssigkeit nicht verdunstet. Ist diese Lipidschicht gest?rt, kommt es zu Entzündungen und einem trockenen Auge. Eine ?hnliche Kartierung der Ver?nderungen in der Genexpression bei der Meibom-Drüse durch die Wissenschaftler:innen steht kurz vor dem Abschluss.

Originalpublikation im Journal of Biological Chemistry: 
?A spatial portrait of the human sebaceous gland transcriptional program“, doi: 10.1016/j.jbc.2024.107442