Pressemitteilung 2020/244 vom

Am 18. September startet die neue Bundesliga-Saison. Ein Thema, das im deutschen Profifu?ball immer wieder kontrovers diskutiert wird, ist die Aufhebung der 50+1-Regel, für die unter anderem bereits Uli Hoene? pl?diert hat. Sie soll im deutschen Profifu?ball den Einfluss von Investoren begrenzen und besagt, dass der Stammverein die Mehrheit der Stimmanteile in einer Kapitalgesellschaft halten muss. Dr. Sebastian Bj?rn Bauers von der Sportwissenschaftlichen Fakult?t der Universit?t Leipzig hat kürzlich zu dieser Thematik promoviert.

Herr Dr. Bauers, wie ist hier der aktuelle Stand in der Diskussion um die 50+1-Regel?

Derzeit prüft das Bundeskartellamt in einem noch nicht abgeschlossenen Verfahren, ob die 50+1-Regel gegen deutsches und europ?isches Kartellrecht verst??t. Das Prüfverfahren wurde durch die DFL, die Deutsche Fu?ball Liga GmbH, beim Bundeskartellamt beantragt. Bevor auf Ligaebene eine Entscheidung hinsichtlich der Zukunft der 50+1-Regel getroffen wird, ist das Ergebnis des Verfahrens zun?chst abzuwarten.

Sie haben gemeinsam mit Ihrem Kollegen Prof. Dr. Gregor Hovemann zu dieser Thematik geforscht und Fu?ballfans befragt. Wie ist deren Meinung?

Im Rahmen unserer jüngsten Befragung befürworten 90 Prozent der befragten Fu?ballfans eine Beibehaltung der 50+1-Regel. Ein vergleichbares Ergebnis zeigt unsere erste Befragung, welche wir bereits im Jahr 2011 durchgeführt haben. Dieser Vergleich veranschaulicht – bezogen auf die Pr?ferenz hinsichtlich der Zukunft der 50+1-Regel – eine zeitunabh?ngige Befürwortung einer Beibehaltung. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage nach den entsprechenden Hintergründen. Dazu haben wir erstmalig aus Fanperspektive die Argumente für eine Beibehaltung und die Argumente für eine Aufhebung empirisch erhoben. Am h?ufigsten wurden zwei Argumente für eine Beibehaltung der 50+1-Regel genannt, welche die Partizipation von Fu?ballfans und Investoren betreffen – es handelt sich um die Argumente ?Bewahrung der Mitbestimmungsm?glichkeit durch Vereinsmitglieder beziehungsweise Fans“ und ?Ausschluss einer Fremdbestimmung durch Investoren“. Darüber hinaus ist bei der Gegenüberstellung unserer Befragungsergebnisse die zunehmende Befürwortung des Arguments ?Ausschluss einer gleichzeitigen Kontrolle mehrerer Fu?ballklubs durch einen Investor“ von besonderem Interesse, wodurch das Ph?nomen Multi-Club-Ownership st?rker in den Fokus rückt. Dieses Ergebnis l?sst sich m?glicherweise aufgrund der aktuellen Berührungspunkte hinsichtlich RB Leipzig und RB Salzburg erkl?ren. Argumente für eine Aufhebung der 50+1-Regel wurden im ?brigen nicht mehrheitlich genannt. 

Inwiefern haben die Corona-Beschr?nkungen – Stichwort Geisterspiele – diese Thematik beeinflusst?

Die aktuelle Situation veranschaulicht die Bedeutung von Fu?ballfans. Bei der Produktion eines Fu?ballspiels handelt es sich um eine Teamproduktion. Beteiligt sind die konkurrierenden Klubs sowie die Fu?ballfans, die w?hrend des Spiels zur Stimmung und damit zur Attraktivit?t des Spiels beitragen. Bei Geisterspielen entf?llt der letztgenannte Akteur, wodurch die Teamproduktion beeintr?chtigt ist. Auch nach den coronabedingten Auswirkungen ist eine Beeintr?chtigung der Teamproduktion denkbar, beispielweise durch einen Exit von Fu?ballfans im Zuge der stetig voranschreitenden Kommerzialisierung und der Vernachl?ssigung der Faninteressen – entsprechende Beispiele gibt es in England und mit der Gründung des HFC Falke auch in Deutschland. Langfristig bestünde dadurch zudem die Gefahr von Beeintr?chtigungen der kommerziellen Verwertung des Profifu?balls. Schlie?lich k?nnten wir die aktuelle Situation als einen Warnhinweis verstehen, der das Bewusstsein für das Kernprodukt und die ?Rolle“ der Fans sch?rft. 

Wer profitiert von der 50+1-Regel, wem würde eine Aufhebung am meisten nützen?

Ich knüpfe an meine vorherige Antwort an und gehe dabei erneut auf Fu?ballfans, im Speziellen auf Vereinsmitglieder ein. Durch die 50+1-Regel bleiben demokratische Strukturen im deutschen Profifu?ball bestehen, wodurch Vereinsmitglieder die M?glichkeit haben, Einfluss auf ?ihren“ Klub auszuüben. Demgegenüber würde eine Aufhebung der 50+1-Regel die Partizipation von Vereinsmitgliedern beschneiden und die Partizipationsm?glichkeiten von Investoren in Form einer Durchsetzung ihrer Handlungs- und Verfügungsrechte erweitern. Unabh?ngig von der Entscheidung über eine Beibehaltung oder Aufhebung erscheint ein Aspekt besonders wichtig: Die Entscheidung sollte konsensorientiert sein. Eine diesbezügliche M?glichkeit bei der Entscheidungsfindung bildet die Anwendung des Stakeholder-Ansatzes, der ein wesentlicher Teil unserer Forschung ist. So haben wir neben Fu?ballfans ebenfalls Fu?ballklubs sowie aktuelle und potentielle Investoren zur 50+1-Regel befragt. Wir konnten bei der Gegenüberstellung der empirischen Ergebnisse Interessendivergenzen, aber auch zentrale Gemeinsamkeiten identifizieren. Unser n?chster Schritt besteht darin, auf der stakeholderorientierten Basis regulatorische Handlungsempfehlungen zu erarbeiten, welche die DFL als Anregung für eine zukünftige Regulation nutzen kann.